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So nah und doch so fern: Wenn Journalist:innen mit Influencer:innen zusammenarbeiten

Immer öfter finden Journalist:innen und Influencer:innen zu Joint Ventures zusammen. Die Medienhäuser möchten die Reichweite der Social Media Stars nutzen und diese wiederum erhoffen sich zusätzliches Income und Imagegewinn durch die etablierten Marken. Was ist zu beachten, wenn beide Gruppen kollaborieren? Zwei Insider beschreiben Grenzlinien und Spielregeln.

Lange Zeit hatte die deutsche Medienlandschaft klare Binnengrenzen: Diesseits dieser Demarkationslinie veröffentlichen ausgebildete Journalist:innen – angestellt oder frei beschäftigt, dem Pressekodex verpflichtet und (weitgehend) werbefrei. Jenseits produzieren Content-Creator:innen, Videoproduzent:innen und Influencer:innen auf YouTube, Instagram und TikTok eine bunte Mischung aus werblichen Produktvorstellungen, Lebenstipps und aktivistischen Meinungsbeiträgen. Mit Journalismus hatte das im Verständnis etablierter Medienmacher:innen wenig bis gar nichts zu tun.

Mittlerweile wird diese Grenze zunehmend durchlässiger, bekommt mehr und mehr Löcher und Übergänge. Social-Media-Produzent:innen werden zu Kollaborationen mit etablierten Redaktionen eingeladen, bekommen sogar feste Formate und Programmplätze. Umgekehrt wächst die Zahl der Journalist:innen rapide, die eigene Accounts auf den sozialen Plattformen bespielen, mit Influencer:innen kollaborieren und so auch unabhängig von ihrem Medienhaus wahrgenommen werden. Häufig haben ihre Privataccounts sogar mehr Follower:innen als der Account ihres Sendeplatzes oder ihrer Kolumne.

Höchste Zeit, sich die Rollenverteilung der beiden Gruppen noch einmal deutlich zu machen – und Do´s und Dont´s für ihr Zusammenspiel zu formulieren.

Beispiele für Rollenwechsel

Bei funk, dem öffentlich-rechtlichen Content-Netzwerk für junge Zielgruppen, ist die Einwanderung der Influencer:innen (hier als Sammelbegriff auch für andere Content-Creator:innen und Webvideoproduzent:innen genutzt) besonders ausgeprägt.

Bekannte Social Media Stars wie Phil Laude, Aminata Belli oder Der Dunkle Parabelritter labeln bei funk eigene Kanäle, die gleichzeitig zu Social-Media-Plattformen verlinkt sind. Allerdings berichtete rnd, das Redaktionsnetzwerk Deutschland, im vergangenen Jahr auch über eine entgegengesetzte Bewegung, den Exit bekannter YouTuber:innen, weg von funk. Darunter waren bekannte Social Media Creator:innen wie Mai Thi Nguyen-Kim, die inzwischen mit ihrer Wissenschafts-Show „MAITHINK X“ bei ZDFneo gelandet ist, und „Simplicissimus“. Auch sonst birgt die ausgeprägte Social Media-Fixierung des Netzwerks immer wieder Konflikpotenzial.

Als Gründe nannten die Influencer:innen damals unter anderem den Wunsch nach „mehr Flexibilität“ und „mehr Ruhe“ sowie „keine externen Deadlines“, aber auch das Werbeverbot bei der öffentlich-rechtlichen Mutterstation funk. Ganz offensichtlich waren hier unterschiedliche Mindsets von Influencer:innen und öffentlich-rechtlicher Redaktion miteinander kollidiert.

Große Beachtung – auch unter Journalist:innen – finden die Beiträge des YouTubers Tilo Jung, der sich selbst als Journalist und „freier Chefredakteur“ bezeichnet. Einzelne Ausgaben seines Interviewformats „Jung&Naiv“ wurden im Rahmen einer Medienkooperation von stern.de übernommen und Beiträge von ihm wurden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) veröffentlicht. Zu seinem Medienpodcast „Aufwachen!“ begrüßt er etablierte Journalisten wie Friedrich Küppersbusch, Hans Jessen, Georg Restle und Claus Kleber.

Ein Beispiel für die umgekehrte Wandlung – vom Journalisten zum Social Media-Star – ist der Journalist und stellvertretende Bild-Chefredakteur Paul Ronzheimer. Er gilt als das „markenübergreifende journalistische Gesicht der Verlagsgruppe“ und schreibt für Bild, auf Bild.de, aber auch für die Welt und Politico. Für die Springer-Verlage ist er auch in den Sozialen Medien allgegenwärtig. Gleichzeitig veröffentlichte er Videos auf seinem eigenen, nicht Verlags-gebrandeten YouTube-Kanal und betreibt unter seinem Eigennamen den Podcast „RONZHEIMER. So ist er in den sozialen Medien zu einer reichweitenstarken Prominenz geworden. Nach dem Ende von Bild TV im November 2023 soll Ronzheimer jetzt ein Primetime-TV-Format bei Sat .1 bekommen.

Rollen verstehen – Kategorien öffnen

Andreas Rickmann kennt beide Gruppen. Der Journalist ist Berater für Social Media und Digitalisierungsstrategien und war früher Director Social Media bei Bild. In einem Beitrag des Medienmagazins Zapp beschrieb Rickmann, wie wichtig für Journalist:innen mittlerweile ein persönlicher Social-Media-Auftritt geworden ist.

Der Journalist Andreas Rickmann ist Social-Media-Berater. Zuvor leitete er auf redaktioneller Seite den Bereich „Social Media / Neue Plattformen“ bei Bild. Danach war er als Editorial Director New Plattforms für die Social-Media-Auftritte der kompletten Bild-Gruppe verantwortlich. Foto: Isabell Prophet.

Als wichtigste unterschiedliche Rollenmerkmale der beiden Gruppen nennt Andreas Rickmann „Unabhängigkeit“ und „Vertrauen in die Person“. Das wichtigste Gut für Journalist:innen  sei ihre Unabhängigkeit. Das Kapital von Influencer:innen  dagegen sei das Vertrauen in ihre  Person. Journalist:innen täten sich häufig schwerer, sich selbst als Personenmarke aufzubauen. „Menschen glauben aber eher anderen Menschen als Marken. Darauf baut ein Influencer seine Community auf“, sagt Rickmann.

Solch ein Glaube kann allerdings auch schnell erschüttert werden, etwa wenn Finanzinfluencer:innen in ihren Beiträgen Werbung für bestimmte Produkte machen, oder Provision für gelungene Abschlüsse bekommen. Dann kollidiert Glaubwürdigkeit mit Unabhängigkeit.

„Dennoch haben es Influencer, die es schaffen, Vertrauen und Nähe aufzubauen, leichter als Journalisten, deren höchstes Gut Unabhängigkeit ist. Das Publikum achtet im Zweifel eher auf Gesichter und schaut weniger stark darauf, wie unabhängig jemand ist“, schätzt Andreas Rickmann ein.

Ein erfahrener Wanderer zwischen den beiden Welten – den sozialen Netzwerken und dem etablierten Redaktionsbetrieb – ist der ausgebildete Journalist und Webvideoproduzent Mirko Drotschmann. Auf YouTube hat sein Kanal „MrWissen2Go aktuell 2,15 Millionen Abonnent:innen. Beim ZDF moderiert er das populäre Wissensformat „TERRA X“.

Drotschmann plädiert für eine Öffnung der Kategorien. „Ich selbst bin ja auch journalistisch ausgebildet worden und war schon lange vor meiner Zeit bei YouTube für ,konventionelle Medien‘ tätig – und dann haben sich die beiden Bereiche ganz natürlich miteinander verwoben“, sagt er.

Dabei denkt er zum einen an Journalist:innen mit Vorerfahrung und Ausbildung, die selbst irgendwann in den sozialen Medien aktiv werden und zum Beispiel Drehbuch und Recherche übernehmen. Zum anderen sieht er Influencer:innen vor sich, die redaktionell eingebunden sind und sich eher vor der Kamera präsentieren.

Können beide Gruppen von der Zusammenarbeit profitieren?

Der ausgebildete Journalist Mirko Drotschmann unterhält den YouTube-Kanal „MrWissen2go“ und hat dort mehr als 2 Mio. Follower:innen. Seit 2020 gehört Drotschmann zum Moderatoren-Team der Sendung „Terra X“ im ZDF. Foto: Dennis Weissmantel / ZDF.

Mirko Drotschmann hat während seiner langjährigen Social-Media-Praxis erfahren, dass Journalist:innen und Influencer:innen definitiv voneinander profitieren können. „Influencer, oft als Ein-Mann- oder Eine-Frau-Team unterwegs, beherrschen teilweise eine sehr dynamische und unkonventionelle Produktionsweise. Ich selbst habe bei meiner YouTube-Produktion immer geschätzt, dass ich mein eigener Herr war und Inhalte nach meinem Gusto erstellen konnte. Von dieser agilen Produktionsweise, die sehr direkt ist und nicht in verschachtelten Strukturen denkt, können sich Redaktionen inspirieren lassen“, ist sich Drotschmann sicher.

Tatsächlich bieten Formate, die bei den Medienhäusern von Influencer:innen präsentiert werden, oft neue Themen, eine andere Optik und eine andere Ansprache. Für jüngere Zielgruppen sind sie so wesentlich interessanter als der herkömmliche „Sound“ der etablierten Medienmarken. Als Sehbeispiele schaue man sich einmal Beiträge des Influencers Fabian Grischkat beim öffentlich-rechtlichen Jugendformat „funk“ an.

Social-Media-Berater Andreas Rickmann mahnt aber zur Vorsicht. „funk ist ein ganz spezielles Format, ganz gezielt für die sozialen Plattformen produziert und mit einer homogenen Zielgruppe: 14- bis 29-Jährige. Da mag das funktionieren. Daneben gibt es kaum andere Medienangebote, bei denen Influencer auf diese Weise produzieren können“, schränkt er ein. Zudem müsse man sich fragen, wie nachhaltig es ist, eine:n Influencer:in für einen begrenzten Zeitraum an sich zu binden und ihn oder sie dann wieder gehen zu lassen.

Rickmann kennt kaum erfolgreiche Kollaborationen, bei denen Medienmarken von bekannten Influencern profitiert haben. „Influencer sind eigentlich nicht auf andere Medienmarken angewiesen, denn sie haben ihre eigene Community und Reichweite“, sagt der Social Media-Berater. Allerdings profitierten die Influencer:innen durchaus von der Seriosität etablierter Medienmarken, speziell beim ÖRR.

Mirko Drotschmann dagegen ist davon überzeugt, dass Influencer:innen vieles von den Redaktionen lernen können, mit denen sie kooperieren – etwa die Fähigkeit zur redaktionellen Planung, zum strategischen Denken, das Vier-Augen-Prinzip oder die klassische journalistische Sorgfaltspflicht. „Influencer:innen pflegen manchmal so ein ,in den Tag hinein‘-Produzieren. Sie können von der planvollen redaktionellen Vorgehensweise sicher profitieren, um ihre eigenen Produktionen stärker zu machen“, sagt der Journalist und YouTuber.

Einige Medienhäuser bauen inzwischen lieber eigene Kolleg:innen zu SocialMedia-Player:innen auf, anstatt Influencer:innen zu verpflichten. Beispiele sind der oben genannte Paul Ronzheimer von der Bild und der ARD-Korrespondent Vassili Golod. Wie Ronzheimer ist auch Golod als Host mit eigenen Podcasts, oder als Gast in fremden Podcasts sehr präsent. „Ein Video auf dem persönlichen Instagram-Account des ZDF-Journalisten Jochen Breyer, der das EM-Studio des ZDF moderiert, hat gerade 100.000 Likes erhalten“, sagt Rickmann.

Funktionieren Kooperationen besonders gut im Fach- und Wissenschaftsjournalismus?

Schaut man sich auf den Plattformen und in den Medienhäusern um, dann bekommt man den Eindruck, dass besonders Fach- und Wissenschafts-Influencer:innen mit etablierten Medien kooperieren. „Im besonderen Feld des Fachjournalismus sind es sehr spezielle Sonderfälle, die zeigen, wie Medienhäuser Influencer sehr erfolgreich in ihr Programm einbinden und dann langfristig zu festen Programmgrößen aufbauen können. Besonders bei Mai Thi Nguyen-Kim, mit ihrem speziellen Background, ist das sehr gut gelungen“, bestätigt Andreas Rickmann.

Umgekehrt findet man besonders in diesem Themenbereich Journalist:innen, die sowohl in ihren Medienhäusern, als auch auf eigenen Social Media-Kanälen unterwegs sind. Neben Mirko Drotschmann ist das zum Beispiel auch Harald Lesch.

Dos und Don‘ts bei der Zusammenarbeit

Das wichtigste To-do bei Kooperationen zwischen Influencer:innen und Journalist:innen ist für Andreas Rickman das sorgfältige Casting, also die zielgenaue Ansprache und Verpflichtung der Influencer:innen durch die Redaktion.

„Passt diese Person zur Medienmarke mit allem, was sie tut und wofür sie steht? Hat diese Person eine Community, die sich wirklich für die Inhalte der Medienmarke interessiert? Oder ist sie eher genervt davon? “, formuliert Rickmann die Leitfragen für die Anbahnung einer Kooperation.

Wichtig sei dabei, die Social Media Expertise im Haus mit einfließen zu lassen. „Oft werden solche Kollaborationen auf der oberen Managementebene eingekauft und dann heißt es: „Liebe Social Media Redaktion, hier habt ihr. Jetzt macht mal!“, berichtet Rickmann.

Ein No-Go für Journalist:innen sei es auch, nur auf die Reichweite von Influencer:innen zu achten, ohne inhaltlich zusammenzupassen. Der gemeinsame Output wirke dann schnell künstlich und unangenehm.

Auch Mirko Drotschmann nennt als erstes Don`t die ausschließliche Fokussierung auf Quoten und Klicks. „Eine geringe Quote hat bei Influencern eine direkte Auswirkung auf ihre Reichweite und somit auf ihre Einnahmen. Im Journalismus dagegen geht es zwar auch um Aufmerksamkeit, aber vor allem um Fragen wie: Welches Thema wird weshalb gemacht? Ist das gesellschaftlich relevant? Sind die klassischen journalistischen Kriterien erfüllt?“, gibt Drotschmann zu bedenken.

Fazit

Die strenge Trennung der beiden Berufsbilder löst sich zunehmend auf. Redaktionen lassen Inhalte von Influencer:innen präsentieren, ausgebildete Journalist:innen bauen sich auf den Plattformen – oft unabhängig von ihrer Medienmarke – eigene reichweitenstarke Accounts auf.

Es gibt – besonders im Bereich Fach- und Wissenschaftsjournalismus –  einige Vertreter:innen einer Personalunion zwischen Journalist:in und Social-Media-Produzent:in.

Fruchtbare Kooperationen sind möglich, wenn man die unterschiedlichen Besonderheiten der beiden Gruppen berücksichtigt und zulässt. Influencer:innen sollten redaktionell sorgfältig betreut werden. Gleichzeitig sollte ihnen die Redaktion Freiheiten bei ihren Stärken, vor allem der  authentischen und zielgruppengerechten Präsentation und Moderation der Inhalte, einräumen. Journalist:innen können von den agilen Produktionsmethoden der Influencer:innen profitieren – und die wiederum von strukturierten redaktionellen Arbeitsweisen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Foto:  Eberhard Kehrer

Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische Medien, Internet, Multimedia und Kino Anfangs für die taz, dann für den Tagesspiegel und im neuen Millennium vorwiegend für Fachmagazine, wie ZOOM und Film & TV Kamera. Für das verdi-Magazin Menschen Machen Medien verfolgt er die Entwicklung nachhaltiger Filmproduktion, die Diversität in den Medien und neue Medienberufe.

 

 

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