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Titel, Teaser, Texteinstiege – und ihre Bedeutung für das digitale Nachrichtengeschäft

„Wir orientieren uns an den SEO-Standards, schreiben aber weiter für Menschen“

Wie wichtig sind Titel, Teaser und Texteinstiege für das digitale Nachrichtengeschäft? Darüber klären in diesem Buchauszug zwei Praxis-Profis der Funke Mediengruppe in einem Wortlautinterview auf. Es handelt sich um Christopher Kremer, Conversion Redakteur der Funke Mediengruppe NRW, und Annika Rinsche, Head of Digital und Mitglied der Chefredaktion bei der Westfalenpost. Das Gespräch führte der Buchautor Alexander Marinos.

Alexander Marinos: Nachrichten waren bei Zeitungsredakteuren lange „megaout“, weil sie glaubten, sie müssten ihren Lesern als „langsames, ausgeruhtes“ Medium eher Analysen und Hintergründe präsentieren. Würden Sie sagen, dass die Nachricht als Textform durch die digitale Transformation einen neuen Stellenwert bekommen hat?

Kremer, Christopher: Durch die digitale Transformation ist alles schnelllebiger geworden – das betrifft natürlich auch unsere Arbeit. Die Userinnen und User können sich jederzeit und überall informieren – und das gerne so schnell und umfassend wie möglich. Vor allem in dynamischen Situationen hilft uns eine schnelle Nachricht, genau diese Bedürfnisse zu befriedigen. Nichtsdestotrotz bleiben Analysen und Hintergründe weiter wichtig. Diese Textarten ordnen ein, bewerten oder kritisieren und heben sich damit ab von der Arbeit der Pressestellen.

Rinsche, Annika: Eine starke Nachricht ist Gesprächsstoff. Die Leserinnen und Leser wollen informiert sein, immer auf dem aktuellen Stand. Sie wollen wissen, was gerade in ihrer Stadt, ihrer Region, der Welt passiert. Wir erzielen daher digital hohe Reichweiten mit Nachrichten. Die digitale Transformation hat das Nachrichtengeschäft enorm beschleunigt. Innerhalb weniger Minuten können andere Medien den Kern der Nachricht aufgreifen und über ihre Kanäle verbreiten. Selbst exklusive Neuigkeiten hinter einer Bezahlschranke sind so beim Mitbewerber zuweilen schnell frei zugänglich.

Marinos: Helfen die guten alten Nachrichtenregeln wie die, dass das Wichtigste zuerst kommt, beim optimierten Schreiben für Suchmaschinen?

Rinsche: Definitiv. Für die Google-Optimierung identifizieren wir die wichtigsten Keywords eines Themas („Küchenzuruf“) und platzieren sie prominent in der Überschrift, im Teaser und im Fließtext. Die Suchmaschine honoriert auch eine Zusammenfassung der Nachricht in Stichpunkten am Anfang des Fließtextes. Zum Hintergrund: Google möchte vor allem ein positives Nutzungserlebnis schaffen. Wer Informationen zu einem Thema sucht, soll sofort den besten Text finden – und sich nicht erst durch zehn Artikel wühlen müssen. Aber woher weiß Google, welcher der relevanteste und nützlichste Text ist? Die Suchmaschine scannt dazu die Artikel nach verschiedenen Faktoren: zum Beispiel Aktualität, sinnvolle Verlinkungen und eine gute Struktur. Vor allem überprüfen die Algorithmen aber, wie häufig und prominent die Keywords im Text verwendet werden.

Kremer: An den klassischen Nachrichtenregeln hat sich aus meiner Sicht nicht viel verändert. Natürlich versuchen wir durch gewisse Hebel unsere Inhalte bestmöglich bei Google – also unserem größten Zugriffskanal – zu platzieren. Hierbei ist das Keyword das A und O. Und das jeweils passende Keyword für die Geschichte ergibt sich häufig aus dem guten alten Küchenzuruf. So sollten bei einem Unfall auf der A40 vor allem die Wörter „Unfall“ und „A40“ in der Überschrift und der Meldung vorkommen. Allerdings bleibt auch hierbei wichtig: Wir orientieren uns an den SEO-Standards, schreiben aber weiter für Menschen.

Marinos: Wirklich? Das ist ja ein häufig gehörter Vorwurf an den Online-Journalismus, sich dem Diktat der Algorithmen von krakenartigen Digitalkonzernen zu unterwerfen …

Kremer: Auf jeden Fall setzen diese Konzerne neue Maßstäbe in Zeiten des Online-Journalismus. Allerdings sind es ja vor allem die User und Userinnen, durch die diese Plattformen binnen weniger Jahre rasant gewachsen sind. Google, Facebook und Co. befriedigen ein Bedürfnis, von dem viele vorher gar nicht wussten, dass sie es haben. Als Publisher können wir es uns nicht erlauben, diese Entwicklung zu ignorieren. Das heißt natürlich nicht, jegliches Handeln der genannten Konzerne kritiklos hinzunehmen.

Rinsche: Wir schreiben für unsere Leserinnen und Leser. Dazu gehört heute auch die Analyse, über welche Kanäle die Menschen zu uns kommen. Mehr als 50 Prozent unserer Nutzerinnen und Nutzer steigen über Google ein, ein großer Teil kommt über die sozialen Netzwerke. Wie man Inhalte auf diesen Kanälen ansprechend präsentiert, gehört mittlerweile zum journalistischen Handwerkszeug. Klar definiert sein muss aber der eigene Anspruch an das Gesamtprodukt: Welche Nachrichten relevant sind, entscheidet die Redaktion, kein Algorithmus bei Google oder Facebook.

Marinos: Arbeiten wir uns von oben nach unten durch: die Überschrift. Was muss der Online-Nachrichtenschreiber hier noch beachten? Nicht immer liegen die „Keywords“ ja so auf der Hand wie beim Unfall auf der A40 …

Rinsche: Die wichtigste Frage: Warum sollte jemand den Text überhaupt lesen? Was ist die Geschichte? Die Aufmerksamkeitsspanne im Netz ist gering: Online-Portale, Facebook-Feeds oder Google-Ergebnisse werden von den Nutzerinnen und Nutzern innerhalb weniger Sekunden gescannt. Da muss die Verkaufe sitzen. Der Journalist sollte also im ersten Schritt klären, was Ziel des Textes sein soll: Information, Nutzwert, Unterhaltung? Die Herausforderung ist nun, knapp und klar zu formulieren, was die Leserinnen und Leser im Text erwartet. Funktioniert der „Küchenzuruf“? Ich kann nur empfehlen, das innerhalb der Redaktion zu testen, vielleicht sogar mit fachfremden Menschen im eigenen Umfeld.

Kremer: Zu den Keywords: Da reden wir vor allem über die organische Google-Suche. Andere Algorithmen – wie zum Beispiel Google Discover – folgen wieder einer anderen Logik. Wichtig ist zu wissen: Im digitalen Geschäft haben wir nur ganz wenige Zeichen, den User und die Userin von unserem Text zu überzeugen. Bedeutet gerade auch für die Überschrift: Sie muss einmal einordnen: Was ist das Thema, „wo“ befinden wir uns – hier finden sich dann auch die Keywords. Und sie muss auf der anderen Seite Neugierde wecken: Was ist die Neuigkeit und die Besonderheit? Das ist nicht immer einfach, weil – zum Beispiel in der Google-Suche – auch manchmal nur die Überschrift mit Bild ausgespielt wird, ohne Teaser. Auch hilfreiche Elemente wie die Ortsmarke werden dort in der Regel nicht angezeigt.

Marinos: Mit anderen Worten: Eine Ortsangabe (eine Stadt, eine Sehenswürdigkeit o. ä.) sollte immer auch zu den Keywords gehören?

Kremer: Auf jeden Fall. Vor allem im Lokaljournalismus ist die Stadt ein wichtiges, wenn nicht sogar das wichtigste, Keyword. Zudem sieht der User und die Userin auf den ersten Blick, dass die Nachricht in der „eigenen“ Stadt spielt. Ähnlich verhält es sich mit Nachrichten, die sich auf „NRW“ oder Kreise beziehen.

Marinos: Kommen wir zu den Teasern. Warum ist es keine gute Idee, wenn man einen Teaser einfach wie einen Print-Vorspann schreibt – oder wie die Unterzeile zu einer Überschrift?

Rinsche: Der gravierendste Unterschied ist wohl, dass der Teaser entscheidend für den Erfolg des Textes ist. Eine Unterzeile informiert jemanden, der das Produkt schon gekauft und nun den kompletten Artikel vor Augen hat. Der Teaser hingegen muss die Nutzerinnen und Nutzer in den Text ziehen, indem er neugierig macht und ein Bedürfnis weckt, ohne aber schon alles zu verraten. Steht der Artikel hinter der Paywall, kann ein guter Cliffhanger verkaufsentscheidend sein.

Marinos: … bei dem man es aber auch nicht übertreiben darf, um seriös zu bleiben …

Rinsche: Genau, zu plumpes Clickbaiting im Stil von „Du wirst nicht glauben …“ wirkt schnell unseriös. Ich denke, da sind die Nutzerinnen und Nutzer in den vergangenen Jahren noch sensibler geworden durch Portale, oft aus dem Boulevard-Bereich, die Clickbaiting inflationär eingesetzt haben.

Kremer: In einem Print-Vorspann platzieren wir die wichtigsten Informationen, fassen also die Nachricht und den anschließenden Text zusammen. Verfassen wir den Teaser in ähnlicher Art, verraten wir alle Informationen, ohne dass der Nutzer oder die Nutzerin überhaupt noch klicken muss. Der Teaser bietet uns die Möglichkeit, einen Klickanreiz zu setzen. Denn wir reden ja nicht nur über Klicks, sondern wir reden auch über Plus-Abos, die wir durch spannende Inhalte generieren wollen. Der Print-Leser hat das Produkt Zeitung schon gekauft, wenn er den Vorspann liest. Jeder Online-Text ist in diesem Sinne ein eigenes Produkt, das sich eigenständig vermarkten muss.

Marinos: Also sollte jeder Teaser eine Art Cliffhanger haben?

Kremer: Im Optimalfall ja. Allerdings ist auch Cliffhanger nicht gleich Cliffhanger – wir bewegen uns hier im Bereich des Storytellings. Der Cliffhanger kann auch nur so gut sein wie die Geschichte selbst. Bei dem bewussten Zurückhalten einer oder mehrerer Informationen ist es wichtig, nicht zu „flach“ zu werden. Clickbaiting – also flacher Teaser in Kombination mit einer reißerischen Überschrift – ist vor allem für Portale mit einer Bezahlschranke eigentlich keine Option. So sollte ein Teaser zwar durch eine Wissenslücke neugierig machen, aber nach dem Klick nicht für eine Enttäuschung des Nutzers sorgen. Gute Teaser sind ein elementarer Teil unserer täglichen Arbeit – und wollen gelernt sein.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch Journalistische Praxis: Modernes Nachrichtenschreiben, das 2021 im Springer-Verlag erschienen ist.

Der Autor Dr. Alexander Marinos ist stellvertretender Chefredakteur der WAZ, die zur FUNKE Mediengruppe gehört, Diplom-Journalist und Hochschul-Lehrbeauftragter. Er war zuvor viele Jahre lang Nachrichten- und Politikchef verschiedener Zeitungsverlage.

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