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Die Welt im Wandel: Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Fokus des Journalismus

Ein Interview mit Dr. Jörg Köpke, Chefredakteur und Leiter Kommunikation des Centrums für Europäische Politik (cep).

Dr. Jörg Köpke war Hauptstadtkorrespondent und investigativer Reporter mit Schwerpunkten wie Sicherheits- und Verteidigungspolitik für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in Berlin. Als Kommunikationschef und Chefredakteur des Centrums für Europäische Politik, einem europapolitischen Think-Tank, blickt er mit Sorge auf die derzeitige Sicherheitslage in der Welt und die Auswirkungen der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump – und er zeigt auf, vor welchen großen Herausforderungen Sicherheits- und Verteidigungsjournalist*innen derzeit insgesamt stehen.

Heute wird Donald Trump – als erster verurteilter Straftäter – erneut als US-Präsident vereidigt. Welche Folgen hat seine Wiederwahl für Europa?

Trump wird seinen Fokus auf den pazifischen, auf den asiatischen Raum legen – weg von Europa. Er wird sagen: Ihr Europäer habt euch lange genug unter dem Rockzipfel der USA verkrochen. Papa hat jetzt andere Aufgaben, kümmert ihr euch mal um euch selbst.

Was bedeutet die zweite Präsidentschaft von Trump für den Sicherheits- und Verteidigungsjournalismus?

Jede Menge schlechter Nachrichten. Alle haben bei seiner ersten Präsidentschaft gehofft, dass das ein Betriebsunfall der Geschichte bleibt. Und dass sich mit Joe Biden als Transatlantiker, der auf internationale Organisationen wie die NATO setzt und wieder dem Klimaabkommen beigetreten ist, alles zum Guten wendet. Ich habe immer gewarnt: Europa hat noch einmal vier Jahre auf Bewährung, um seine Hausarbeiten zu machen. Aber Europa hat diese Hausaufgaben nicht gemacht. Es wurde versäumt, gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte auf- und umzusetzen, die Verteidigungshaushalte ausreichend mit Geld auszustatten, sodass sich Europa im Notfall – bei einer zweiten Präsidentschaft von Trump – selbst verteidigen kann: gegen Russland, gegen hybride Kriegsführung, aber auch gegen konventionelle.

Wie definieren Sie „Verteidigung“ und „Sicherheit“ im Kontext der aktuellen geopolitischen Lage?

Verteidigung, Resilienz und Sicherheit bedeuten nicht unbedingt, dass man mit Panzern auffährt oder viele Raketen und Granaten in Stellung bringt. Als Staat für seine Sicherheit zu sorgen, bedeutet zum Beispiel auch, sich von einseitigen Energielieferungen unabhängig zu machen. Dass Deutschland sich zu über 50 Prozent von russischen Erdgaslieferungen abhängig gemacht hatte, war fahrlässig.

Trump wird sich nicht an internationale Sicherheitsabkommen halten. Verteidigung im Bündnisfall wird nach Gefühl und Wellenschlag passieren. Wenn ein Staat 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zahlt, verteidigt Trump diesen Staat, und ansonsten vielleicht nicht? Dann sollen es plötzlich 5 Prozent sein? Dieses Erratische wird uns wieder erwarten.

Trump wird die Ukraine zwingen, einem Diktatfrieden zuzustimmen. Das bedeutet Gebietsverluste, keinen Beitritt zu westlichen Verteidigungsbündnissen wie der NATO, stattdessen vielleicht eine demilitarisierte Zone unter Aufsicht von UNO-Blauhelmen, die an dem jetzigen Grenzverlauf patrouillieren. Damit gibt man Russland wahnsinnig viel Zeit, wieder aufzurüsten, um dann zum nächsten Schlag – diesmal vielleicht auch gegen NATO-Mitgliedstaaten im Baltikum oder gegen Moldawien oder Georgien – auszuholen. Und Trump signalisiert: Es lohnt sich wieder, durch Krieg Grenzen zu verschieben.

Donald Trump verbreitet bekanntermaßen ganz gezielt Fake News, „alternative Fakten.

Das ist das klassische Vorgehen des russischen Geheimdienstes KGB: Streue so lange Unwahrheiten oder stelle so lange Tatsachen infrage, bis die Öffentlichkeit nicht mehr unterscheiden kann zwischen Lüge und Wahrheit. Nach dieser Maxime handeln Trump – und Putin. Und das verfängt – immer häufiger auch in freiheitlichen Gesellschaften wie Südkorea, Japan, Neuseeland oder Deutschland. Das macht mir Angst.

Die grundsätzliche Frage lautet: Was kann eine Demokratie aushalten? Wir haben mittlerweile auf EU-Ebene viele Gesetze, die dahingehend ausgelegt sind, die freie Meinungsäußerung, free speech, zu beschränken, um hate speech herausfiltern zu können. Der frühere BILD-Chefredakteur Julian Reichelt empfindet das als Zensur. So weit würde ich nicht gehen. Aber es ist ein schmaler Grat.

Wie beeinflussen soziale Medien die Berichterstattung über Sicherheitsthemen?

Social-Media-Kanäle leben von Übertreibung, von Hetze, von Aggression – und diese Spirale muss immer weitergedreht werden. Das heißt, diese Plattformen neigen per se zu extremistischen Tendenzen. Und wenn sie dann noch in die Hände fallen von fragwürdigen Gatekeepern wie Elon Musk, der sich offen zu Trump bekennt und eine sehr ambivalente Einstellung, um es mal vorsichtig zu formulieren, zu demokratischen Grundstrukturen hat, dann werden diese Social-Media-Plattformen zu Atombomben. Zu Atombomben gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Das ist extrem gefährlich. Der politische Kniefall von Marc Zuckerberg, künftig keinen Faktencheck mehr auf Facebook vorzunehmen, offenbart die gefährliche Macht der großen Gatekeeper. Es geht nicht um Meinungsfreiheit, es geht allein ums Geschäft. Und das kann für die Demokratie nur schädlich sein. Die Steigbügelhalter für Autokraten sitzen inzwischen im Silicon Valley. Leider.

Und auch das gehört zur Sicherheitspolitik dazu, darüber nachzudenken, ob und wie diese Macht eingehegt werden kann. Oder gibt es Möglichkeiten, die Bevölkerung digital mündiger zu machen, sie so aufzuklären, dass sie selbst in der Lage ist, zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden? Ich bezweifele das.

Trump hingegen untergräbt die Pressefreiheit. Es gibt nur noch ein paar mediale Aushängeschilder an der Ostküste und an der Westküste. Doch selbst die geraten unter Druck. Und dazwischen, in den sogenannten flyover states, gibt es fast keine freie gedruckte Presse mehr. Dort herrscht der Algorithmus von Facebook. Zum Glück ist das in Deutschland noch ein wenig anders. Hier gibt es Medien, die sich darum bemühen, die Bevölkerung aufzuklären, eine vernünftige Einordnung der Ereignisse zu liefern. Gefällt Ihnen eine Zeitung nicht, weil sie Ihnen zu links erscheint, dann lesen Sie halt die NZZ oder die FAZ. Deutschland bietet – noch – eine große Vielfalt an Tageszeitungen und Medien. Wenn Sie sich informieren wollen, können Sie das tun. Die große Frage liegt eher darin, ob Journalisten überhaupt noch in der Lage sind, Fakten von gefälschten Nachrichten zu unterscheiden.

Anders als in den angelsächsischen Ländern gibt es hierzulande die Autorisierung.

Leider. Eigentlich sollte das gesprochene Wort zählen, insofern sind Live-Interviews vor laufender Kamera immer noch das Beste, weil sich Politiker hinterher nicht rausreden können. Motto: Das habe ich nie so gesagt. Marion Horn, eine sehr gute Journalistin, die ich in meiner kurzen Zeit bei BILD erleben durfte, weigert sich, nachdem sie BILD wieder übernommen hat, Interviews autorisieren zu lassen. Ihr Credo: Der Politiker, der mit uns spricht, muss wissen, dass wir das, was er sagt, eins zu eins in die Zeitung heben. Gut so. Es frustriert jeden Journalisten zutiefst, wenn er meint, er kommt mit einem wunderbaren Interview mit dem Bundeswirtschaftsminister oder der Bundesbildungsministerin zurück, er feilt stundenlang daran herum – und dann bekommt er aus der Presseabteilung des Ministeriums einen Text zurück, der nichts mit dem zu tun hat, was ursprünglich gesagt wurde. Da gibt es Rotstiftfassungen von Ministern, die retuschiert, geändert und geglättet haben, und wehe, Sie halten sich als Journalist nicht daran. Ich finde, das sind alles Dinge, die gehören sich nicht. Es sollte das gesprochene Wort gelten, wie es etwa in Frankreich längst üblich ist.

Es ist leider aber auch bei vielen Redaktionsleitungen mittlerweile so, dass gar nicht mehr so sehr zählt, was gesagt wird, sondern wer etwas sagt. Wenn man ein Interview mit Herrn Scholz bekommen hat, dann kann der inhaltsleer und ohne jede Nachricht auf dem Kamm blasen, aber es bläst eben der Kanzler. Und das wird dann gedruckt. Frustrierend und ermüdend – nicht nur für Journalisten.

Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um effektiv über sicherheitspolitische Themen berichten zu können?

Das allerwichtigste Werkzeug ist immer noch die Neugier, wirklich wissen zu wollen, was ist. Außerdem ist Belastbarkeit essenziell. Und eine hohe soziale Intelligenz, um mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern umgehen zu können. Denn nur so gewinnt man Vertrauen – im politischen Berlin die höchste Währung. Denn sonst sagt Ihnen niemand etwas. Und man sollte eine gewisse Vorausschau haben, die politischen Ereignisse zu deuten. Die eigene Anschauung – und das meine ich wörtlich – ist extrem wichtig. Man schreibt am besten über politische Sachverhalte, wenn man die Protagonisten, die Regionen, die Krisen selbst kennt. Daher: Nicht alles vom Schreibtisch aus machen. Wenn man über die Ukraine berichtet, sollte man möglichst selbst da gewesen sein. Wer einmal in Butscha die Leichenfelder gesehen hat, die Massengräber, der wird niemandem mehr auf dem Leim gehen, der behauptet, das sei eine ukrainische Inszenierung gewesen. Ein Reporter muss raus. Sie können keinen guten Job aus der warmen Redaktionsstube machen – gerade im politischen Bereich.

Dem steht der massive Spardruck in den Medienhäusern entgegen …

Ja, Rendite aus dem Verkauf von News zu erzielen, wird für die einzelnen Verlage und Sender immer schwieriger. Vor-Ort-Recherchen sind kostspielig, gerade wenn man noch Fotografen oder Kameraleute dabei hat. Daher gibt es das Phänomen der Zentralredaktionen. Die schicken einen Kollegen und bedienen mit ihm 60 Zeitungen. Und kaum jemand weiß, dass derselbe Artikel im Kölner Stadt-Anzeiger, in der Ostsee-Zeitung und in der Frankfurter Rundschau erscheint. Früher war es selbstverständlich, dass Dutzende Journalisten den Kanzler oder die Minister auf Auslandsreisen begleitet haben. Fast jede regionale Tageszeitung hatte einen eigenen Korrespondenten für Bundespolitik. Das führte zu einer bunteren, vielfältigeren Berichterstattung, übrigens oft aus einer lokalen Perspektive, die inzwischen nicht mehr existiert.

Auf der anderen Seite sind, das ist meine Wahrnehmung, auch immer weniger Kollegen bereit, rauszugehen. Die Welt scheint für viele Mittzwanziger tendenziell nur noch aus dem Internet zu bestehen, aus dem, was bei Google nachzulesen ist.

Der Alltag sieht oft so aus, dass diese Kollegen 24/7 im Schichtsystem irgendwelche dpa-Meldungen umschreiben und auf sinnlose Portal-Seiten prügeln. Sie sind bessere Lektoren. In Klammern: Das macht in ein paar Jahren die KI, dann sind Newsdesk-Kollegen eh überflüssig. Axel Springer will hunderte Leute aus der Produktion entlassen. Glauben Sie bitte nicht, dass bei der BILD dann noch irgendeine Seite von einem Menschen aufgerissen oder irgendein Foto in die Zeitung gebracht wird. Das übernimmt dann die Künstliche Intelligenz.

Was sind die größten Herausforderungen für Journalisten, die über Verteidigungs- und Sicherheitsfragen berichten?

Der politische Journalismus ist ein Hochleistungsjob. Sie müssen unter Zeitdruck arbeiten können, innerhalb von Minuten komplexeste Zusammenhänge durchdringen, mit denen Sie vorher noch nie konfrontiert worden sind, diese einordnen, und Sie dürfen sich am Ende des Tages kein X für ein U vormachen lassen. Die Jobs an der Spitze, die gut bezahlt werden, von denen vielleicht auch eine Familie auskömmlich leben kann, sind immer ausgedünnter geworden. Sie haben heute Redaktionsstuben mit einem Durchschnittsalter von 35 Jahren, die Mehrzahl unverheiratet und kinderlos. Heißt: Eine durchgehende journalistische Karriere bis zur Rente kann man sich abschminken. Entweder halten Sie das Tempo nicht mehr durch und steigen selbst aus, oder Sie werden ausgestiegen.

Wie hat sich die Medienlandschaft in Bezug auf Verteidigungs- und Sicherheitsthemen in den letzten Jahrzehnten verändert?

Nicht selten schlägt Effekt Recherche. Die schnelle, oberflächliche Nachricht, am besten Google-optimiert und reichweitenstark, verdrängt die fundierte Analyse. Oft fehlt es am historischem Hintergrund. Es ist zum Beispiel erschreckend zu beobachten, wie unreflektiert seit dem 7. Oktober mancherorts über den Nahost-Konflikt berichtet wird. Da fehlt es häufig an elementaren Grundkenntnissen. Und das führt zu antisemitischen Stereotypen, die mich erschrecken. Angaben über palästinensische Opfer werden ungeprüft von der Hamas übernommen. Im Ukraine-Konflikt sickern Putin-Narrative in den öffentlichen Diskurs ein. Nennen Sie mir einen Grund, warum Sahra Wagenknecht in fast jeder Talk-Show russophilen Quark verbreiten darf. Warum? Sie macht Quote. Mit seriöser Berichterstattung über Sicherheitspolitik hat das nichts mehr zu tun.

Aber es gibt natürlich auch positive Beispiele. Bei der FAZ, beim Spiegel, bei der Süddeutschen. Viele großartige Talente sind aus der taz erwachsen wie etwa Christina Schmidt, die nun für die ZEIT schreibt.  Diese Kollegen sind mit viel Verve und Idealismus ausgestattet und machen einen super Job. Wer gut ist, Haltung besitzt und die auch in seinen Texten fundiert recherchiert und begründet zum Ausdruck bringt, kann nach wie vor Karriere machen in unserem Beruf. Seine Meinung zu tagesaktuellen Geschehnissen äußern zu dürfen, ist für mich ohnehin ein Privileg – und der Verteidigungs- und Sicherheitsjournalismus ein spannendes Feld. Denn dabei geht es um das wertvollste Gut: unser aller Leben.

Das Gespräch führte Ulrike Bremm.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Foto: Phototek.

Dr. Jörg Köpke ist seit Januar 2021 Kommunikationschef und Chefredakteur beim Centrum für Europäische Politik (cep) in Freiburg und Berlin mit Partnerinstituten in Paris und Rom. Der Europa-Experte schrieb das Buch „Unterwandert. Wie Rechte den Rechtsstaat okkupieren“ (2021). Köpke studierte Latein, Geschichte und Erziehungswissenschaften und promovierte in Alter Geschichte. Nach einem Volontariat bei den Lübecker Nachrichten arbeitete er für die BILD-Zeitung als landespolitischer Korrespondent in Hamburg sowie als Chefkorrespondent für die Ostsee-Zeitung in Schwerin. Seit 2015 war er als Hauptstadtkorrespondent und investigativer Reporter mit den Schwerpunkten Innenpolitik, Rechtsextremismus, Geheimdienste und Verteidigung für das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in Berlin tätig. 2019 und 2020 war er in der Vorauswahl zum Nannen Preis.

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