Meta stoppt Fact Checking: Wer schützt die Wahrheit, wenn die Journalist:innen gehen?
Mit dem Ende des Fact Checkings in den USA hat der Meta-Konzern, zu dem Facebook, Instagram und Threads gehören, eine neue Zeit eingeläutet. Wie wird sich der Abbau der Qualitätskontrolle auf die Arbeit von Journalist:innen und die Angebote der Medienhäuser auf den Plattformen auswirken? Welche Folgen wird Zuckerbergs Politik für die Medienhäuser haben, die den Faktencheck für Meta durchführen? Der Versuch einer Vorhersage.
„Twitter ist kaputt. Ihr findet mich bei Bluesky“, schrieb der Journalist Hanning Voigts von der Frankfurter Rundschau im Oktober 2023 und verabschiedete sich so von X, ehemals Twitter. Die „Breitband“-Redaktion von Deutschlandfunk Kultur folgte ihm kurz darauf und postete: „Angesichts der Entwicklungen auf dieser Plattform haben wir uns dazu entschlossen, diesen Kanal nicht länger zu betreiben.“
Zahlreiche Redaktionen und Journalist:innen haben seitdem X verlassen. Wer bleibt, tut dies oft mit einem unguten Gefühl. Könnte dem „X-odus“ bald ein „Zuck-odus“ folgen?
Seit Mark Zuckerberg ankündigte, die bisherige Praxis des Fact Checkings auf seinen Plattformen Facebook, Instagram und Threads – zunächst in den USA – einzustellen, sind viele Medienschaffende ähnlich besorgt wie nach Elon Musks Twitter-Übernahme und warnen öffentlich. Denn in Zuckerbergs – von vielen als historisch empfundenen – Video Statement begründete der Meta-Chef seine Entscheidung explizit damit, dass Regierungen „und alte Medien immer mehr zensieren“ würden.
Die Kampflinie zwischen den journalistischen Standards verpflichteten, professionellen Medien und einer komplett unregulierten „Volkes Stimme“ aka „Free Speech“ hat so jetzt auch die Meta-Plattformen erreicht. Eine Anmerkung dazu: Zuckerberg kontrolliert weit mehr als zwei Drittel der Reichweite sozialer Plattformen weltweit.
Die Abschaffung des journalistischen Fact Checkings als Zeitgeist
Mit seiner Deregulierungsmaßnahme passt sich Zuckerberg der politischen Großwetterlage in den USA nach Trumps Wahlsieg an. Der hatte bereits vor seiner Wiederwahl eine Blaupause für den Umgang mit der journalistischen Faktenprüfung geliefert und immer wieder versucht, Fact Checking aktiv zu sabotieren.
Den journalistischen Faktencheck will der Meta-Chef zukünftig durch das bereits auf X etablierte Modell der „kollektiven Anmerkungen“, die sogenannten Community Notes, ersetzen. Gewerkschaften, Medienwissenschaftler:innen und journalistische Verbände, wie zum Beispiel der DFJV, aber auch die zertifizierten Fact Checker:innen von Correctiv warnen jetzt öffentlich vor den politischen und gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung.
Und natürlich sind, über die Konsequenzen für das Meinungsklima und die Diskussionskultur auf den Plattformen hinaus, auch wirtschaftliche Folgen für die bezahlten Fact Checking-Partner:innen von Meta absehbar. Die dpa vermied bisher eine öffentliche Stellungnahme – mit dem Hinweis auf ihren bis Ende 2025 laufenden Vertrag mit Meta.
Aber wie wirksam ist das bisherige Verfahren überhaupt? Sind Community Notes möglicherweise eine ernst zu nehmende Alternative? Und welche Folgen für den Journalismus auf den Plattformen sind zu erwarten, wenn Meta auch in Europa und in Deutschland das Fact Checking beenden wird?
Wie Fact Checking auf Meta bisher funktioniert
Bisher können (in Deutschland) Plattform-Nutzer:innen potenzielle Falschmeldungen bei Meta oder bei den zertifizierten Faktenchecker-Organisationen dpa und Correctiv melden.
Faktenchecker:innen überprüfen dann die Inhalte. Von ihnen als falsch identifizierte Meldungen werden Meta gemeldet und von der Plattform mit einem Hinweis beim jeweiligen Beitrag gekennzeichnet. Die Richtigstellung wird mit diesem Hinweis verlinkt. Man kann sie aber durch einen Mausklick überspringen.
Meta entscheidet zudem, ob die Anbieter von falschen Inhalten „down-gerankt“ werden, also ihre Reichweite und Sichtbarkeit verringert werden. Gelöscht wird die Meldung nur, wenn sie gegen allgemeine Richtlinien der Plattform verstößt.
Ein konkretes Beispiel: Nach dem Magdeburg-Anschlag war Bundespräsident Steinmeier von einem Account auf X ein frei erfundenes Zitat zur Person des Attentäters in den Mund gelegt worden. Er hatte selbst gar keinen X-Account und hatte den Satz auch nie gepostet. Doch löste das Zitat in den sozialen Medien eine Welle der Empörung aus. Fact Checker:innen deckten die Falschmeldung auf und das Zitat wurde von Meta gelabelt. Es war danach immer noch auf Facebook zu finden – wurde aber mit dem Hinweis versehen, dass es „gefactcheckt“ wurde.
Wie wirksam ist journalistisches Fact Checking?
Eine zentrale Rolle beim bisherigen journalistischen Fact Checking spielen die Organisationen, die Medienhäuser für das Fact Checking auf den sozialen Plattformen zertifizieren. Das sind vor allem das European Fact Checking Standards Network (EFCSN) und das International Fact Checking Network (IFCN).
Wer als zugelassener Fact-Checking-Partner für Meta auftreten möchte, braucht entweder ein IFCN- oder ein EFCSN-Zertifikat. Die Zertifizierung stützt sich auf journalistische Qualitätsstandards und muss regelmäßig überprüft und erneuert werden, ähnlich einer TÜV-Abnahme.
Der EFCSN-Koordinator und ehemalige ZDF-Journalist Stephan Mündges ist von der Wirksamkeit des journalistischen Fact Checking auf den Plattformen überzeugt. Sogar Metas eigener Transparenzbericht gemäß DSA (Digital Services Act) belege die Wirksamkeit und die Qualität des bisher praktizierten Fact Checking, sagt er im Interview.
So konnte laut Bericht lediglich in 3,35 Prozent der Fälle, in denen Hinweise von Fact Checker:innen zu einer Einschränkung der Verbreitung der Meldung geführt hatte, ein erfolgreicher Widerspruch gegen die Reichweitenbeschränkung eingelegt werden. In anderen Kategorien, in denen Content-Moderator:innen aktiv wurden – etwa bei Beleidigungen, Belästigungen oder Hate Speech auf den Plattformen – konnte dagegen in mehr als 60 Prozent der Fälle erfolgreich Widerspruch gegen die Einschränkung der Verbreitung eingelegt werden.
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Der EFCSN-Koordinator und ehemalige ZDF-Journalist Stephan Mündges zeigt auf, warum der journalistische Faktencheck auf den Plattformen nachweislich funktioniert.
„Das zeigt eindrucksvoll, dass die Fehlerquote bei der Prüfung durch Faktenchecker wesentlich geringer ist, als bei allen anderen – nicht durch Faktenchecker kontrollierten – Content-Beschwerden. Das ist das Gegenteil dessen, was uns Zuckerberg in seinem Statement einzureden versucht“, bilanziert Stephan Mündges.
Wie gut funktionieren die Community Notes als Alternative?
Community Notes sind Anmerkungen, die Plattformnutzer:innen den Beiträgen anderer Nutzer:innen hinzufügen können, zum Beispiel, wenn sie sie als falsch oder irreführend erachten oder Bedarf an Kontext sehen. Diese Anmerkungen werden dann von anderen Mitgliedern der Community bewertet. Das System der Community Notes ähnelt dem Prinzip der gegenseitigen Kontrolle, das auf Wikipedia bereits seit Langem praktiziert wird. Elon Musk setzt es seit 2022 auf seinem Dienst X (vormals Twitter) ein.
Marcus Schwarze, freier Journalist, Berater Digitales und Co-Autor beim Newsletter F.A.Z. PRO Digitalwirtschaft hat eine ambivalente Einschätzung zu den Community Notes als Qualitätssicherungsmedium. In einem Fachjournalist.de-Beitrag zum Thema Social Media Monitoring hatte er sich grundsätzlich durchaus positiv zum Crowdsourcing der Verifikationen auf X geäußert: „Da hat Elon Musk etwas entwickelt, was in der Praxis sehr gut funktioniert und zukunftsträchtig ist“, sagte Schwarze damals im Interview.
Zusammen mit Nina Müller hat Schwarze jetzt in einem Beitrag für die F.A.Z. das Konzept der Community Notes (Paywall) ausführlicher betrachtet: Das Ergebnis ist zwiespältig: „Die sichtbaren Notes offenbaren häufig eine erstaunliche Qualität hin zur Wahrheitsfindung und zum größeren Kontext“, schreiben sie. Trotzdem räumen sie ein, dass dieser Befund Faktenchecks nach journalistischen Standards nicht überflüssig mache, und weisen auf diverse Studien hin, die belegen, dass die bisherige Arbeit der institutionellen Faktenchecker:innen Früchte getragen hat. „Da leisten die Deutsche Presse-Agentur dpa, die Nachrichtenagentur afp und das Unternehmen Correctiv regelmäßig wertvolle Arbeit gegen Desinformationen. Doch können sie nicht sämtliche Beiträge auf Social Media überblicken“, schreiben Müller und Schwarze.
Eine umfassende Kommentierung liefern – aus welchen Gründen auch immer – allerdings auch die Community Notes nicht. Schwarze und Müller nennen eine CNN-Analyse vom Juli 2024, die feststellt, dass auf X mehr als 100 Posts mit konspirativen Inhalten zum Attentat auf Präsidentschaftskandidat Donald Trump nur fünf Community Notes beigefügt worden waren. Weiter betont diese Analyse, dass ein von Nutzern gestütztes System nur ein Teil eines Ökosystems sein könne, in dem auch professionelle Faktenchecker agieren.
Vor- und Nachteile der Community Notes
Auch Christina Elmer, ehemals Mitglied der Chefredaktion von Spiegel online und jetzt Professorin für digitalen Journalismus und Datenjournalismus an der Technischen Universität (TU) Dortmund, ist skeptisch, wenn sie nach dem Ersatz des Fact Checkings durch Community Notes gefragt wird. „Aus meiner Sicht bergen die Community Notes den Nachteil, dass hier keine qualitätsgesicherten Teams mit redaktionellen Standards einbezogen sind. Zudem können Community Notes leichter durch Bots oder konzertierte gemeinschaftliche Kampagnen manipuliert werden“, befürchtet sie.
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Christina Elmer, Professorin für digitalen Journalismus und Datenjournalismus an der Technischen Universität (TU) Dortmund, sieht in Community Notes keine geeignete Alternative für Fact Checking, da diese leichter manipuliert und instrumentalisiert werden können.
Ein Vorteil der Community Notes sei ihre Geschwindigkeit. Man könne sich schnell unter einem Post äußern, während die Recherche und Produktion eines redaktionellen Faktenchecks in der Regel mehrere Stunden dauern. Zudem rege das System zum eigenen Nachdenken und zur kritischen Auseinandersetzung mit Inhalten an. Und es biete die Möglichkeit, verschiedene Perspektiven einzubeziehen.
„Grundsätzlich sehe ich aber eher Nachteile, weil die Community Notes schneller und einfacher instrumentalisiert und manipuliert werden können. Der sorgfältig durchgeführte und qualitätsgesicherte journalistische Faktencheck, unter Einbezug verschiedener unabhängiger Quellen, erscheint mir grundsätzlich das bessere Format zu sein, um Falschmeldungen zu widerlegen und Menschen über die Hintergründe aufzuklären“, sagt Christina Elmer.
Welche Konsequenzen hat die Entwicklung in den USA für Deutschland und Europa?
Laut Meta gibt es aktuell „keine unmittelbaren Pläne“, die unabhängigen Faktenprüfer im Vereinigten Königreich oder in der EU abzuschaffen. Die Änderungen gelten also vorerst nur für die Vereinigten Staaten. Das bestätigt auch Medienprofessorin Christina Elmer: „Von den Plattformen ist diese Entwicklung für Europa noch nicht angekündigt. Aber die Faktencheck-Teams stellen sich natürlich bereits darauf ein.“
Zunächst schützt in Europa der Digital Services Act (DSA) vor einer gänzlich unregulierten Verbreitung von Fake News. Durch ihn sind Plattformbetreiber dazu angehalten, Maßnahmen zu ergreifen, um systemische Risiken zu minimieren und illegale Inhalte zu entfernen. Zum Schutz gegen Desinformationskampagnen gibt es zudem eine Selbstverpflichtung, den Code of Practice of Desinformation. Diese Selbstverpflichtung der Plattformen wird jetzt in einen Code of Conduct umgewandelt. „Hier sehen wir aber bereits an den Zusagen der Plattformbetreiber, dass einige Verpflichtungen nur noch von wenigen großen Plattformen mitgetragen werden, etwa zur Einbindung von Faktenchecks oder zur Zusammenarbeit mit Forschenden. X ist bereits 2023, als es noch Twitter hieß, komplett aus dieser Selbstverpflichtung ausgestiegen“, sagt Elmer.
Auch Stephan Mündges plädiert dafür, sich bereits jetzt auf die Ausweitung der US-Regeln auf Europa einzustellen: „Wir müssen uns hier in Europa bereits jetzt Gedanken dazu machen, was das für uns bedeuten würde. Für journalistische Auftritte auf den sozialen Medien steht zu befürchten, dass solch eine Entwicklung ein noch schwierigeres Diskussions- und Kommentarklima zur Folge haben wird“, warnt er.
Böte eine Entwicklung wie in den USA aber nicht vielleicht sogar eine Chance für den deutschen Qualitätsjournalismus auf den Plattformen? Würden die Auftritte der Qualitätsmedien dann nicht vielleicht sogar als „letzte Inseln in einem Meer aus Fakenews“ wahrgenommen und geschätzt? Oder ist das zu positiv gedacht?
„Eine schöne Hoffnung – mehr aber vielleicht auch nicht. Auf den Plattformen wird Content ja zumeist eher beiläufig durchgescrollt und angeklickt, aber selten konzentriert und kritisch gelesen. Wenn jetzt zukünftig auch noch die Warnhinweise der Fact Checker fehlen, werden Inhalte vom durchschnittlichen User noch seltener als Fake zu identifizieren sein“, fürchtet Mündges.
Wirtschaftliche und andere Folgen für die Fact Checker:innen
Ein Nebenkriegsschauplatz der Zuckerberg-Entscheidung sind die wirtschaftlichen Folgen, die das Ende des Fact Checking für die Fact-Checking-Teams bei den Medienhäusern haben wird. Obwohl die beteiligten deutschen Medienhäuser bisher in Bezug auf ihre Einnahmen aus dem Fact Checking wenig transparent sind, ist das Thema nicht zu vernachlässigen. Wie wichtig ist der Aspekt?
„Ich kenne dazu keine Zahlen und keine Verträge. Doch ich weiß, dass einige Redaktionen aufgrund dieser Kooperation ihre Fact-Checking-Teams stark ausbauen konnten. Aber dies ist meines Wissens kein entscheidendes Thema für die Etats der betroffenen Medienhäuser“, sagt Christina Elmer. Sie erwartet, dass die Teams nach einem Auslaufen der Verträge mit Meta wieder verkleinert werden müssen.
Das sei auch deshalb bedauerlich, weil sich dort große Expertise herausgebildet hätte, Expert:innen profiliert hätten und OSINT-Methoden erschlossen worden seien. Das so entstandene Wissen und Know-how würde breit geteilt, auch auf Konferenzen und Vorträgen. So gäbe es inzwischen zum Beispiel um die dpa eine große Fact-Checking-Community. „Diese Teams zu verlieren, wäre sehr traurig. Einmal wegen der Teams selbst, aber auch wegen der Kompetenzen und wegen der großen Wirkung, die sie in die Branche hinein entwickeln. Das wäre definitiv ein Verlust“, fürchtet Elmer.
Fazit
In Europa und in Deutschland schützen uns derzeit laufende Verträge (bis Ende 2025), der DSA und der Code of Practice of Desinformation. Die Auswirkungen des Stopps des Fact Checkings werden aber auch unsere Medienlandschaft erreichen.
Mit dem Aus des zertifizierten, qualitätsgesicherten und finanzierten Fact Checkings (zunächst in den USA) schlagen die Tech Konzerne dem Qualitätsjournalismus auf den sozialen Plattformen ein wichtiges Instrument aus der Hand. Einmal, weil er bisher (punktuell) einschreiten konnte, wenn Fake News und Verschwörungserzählungen viral gingen, um das gesellschaftliche Klima und den öffentlichen Diskurs zu vergiften. Dann aber auch, weil es sich selbst gegen organisierte Angriffe wehren und Falschbehauptungen über die Systemmedien und ihre Berichterstattung entgegentreten konnte.
Die Community Notes erscheinen in der jetzigen Form noch zu bruchstückhaft und zu leicht manipulierbar, um die Faktenchecks zu ersetzen – ein kombiniertes System wäre prüfenswert.
Die direkten finanziellen Folgen für die Fact Checker:innen bei den zertifizierten Medienhäusern sind schwer abschätzbar. Bisher kommunizieren Correctiv und dpa nicht offen über ihre entsprechenden Budgets. Es steht aber zu befürchten, dass das gesamte Fact-Checking-Ökosystem betroffen sein wird.
„Journalisten und Fact Checker sind jetzt angehalten, ihre Arbeitsweisen und ihre Qualitäten noch deutlicher und besser zu erklären“ fordert Stephan Mündges vom EFCSN. Dahinter ein Ausrufezeichen!
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Foto: Eberhard Kehrer
Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische und digitale Medien. Anfangs für Tageszeitungen, z.B. die taz und den Berliner Tagesspiegel und inzwischen vorwiegend für Fachmagazine. Für den Fachjournalist, das Medium Magazin und Menschen Machen Medien verfolgt er die digitale Transformation der Medien, stellt neue Berufsprofile vor und schreibt Service-Beiträge für Medienschaffende.