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„Wir brauchen mehr sichtbare Fachjournalist:innen im öffentlichen Diskurs“

Ein Interview mit Markus Beckedahl.

Das World Wide Web ermöglicht seit 1993 völlig neue Formen der Kommunikation und der Information. Mit ihm kamen Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen auf; mittlerweile nutzen wir künstliche Intelligenz (KI), um Inhalte zu generieren. Daten und Fakten scheinen jederzeit und überall abrufbar – doch welchen Einfluss hat dies auf das Lernen, das Wissen und das Erkennen und Einordnen von Zusammenhängen? Silke Liebig-Braunholz sprach mit Markus Beckedahl über digitale Wissensgesellschaften und die dafür notwendigen konstruktiven Beiträge des Fachjournalismus.

Welchen konstruktiven Beitrag kann oder sogar muss der Fachjournalismus in Deutschland zur Entwicklung einer digitalen Wissensgesellschaft leisten?

Fachjournalist:innen sind wichtige Bestandteile eines öffentlichen Diskurses bei der Entwicklung einer digitalen Wissensgesellschaft. Sie bauen Brücken zwischen technologischen Entwicklungen und der Gesellschaft, ordnen diese ein und helfen im Idealfall dabei, vieles besser zu verstehen.

Wo gelingt das bereits?

Im Klimabereich gibt es zahlreiche engagierte Fachjournalist:innen wie Karsten Schwanke oder Özden Terli, die Kontext und Hintergründe bieten.

Im digitalen Bereich hat das von mir gegründete und lange geleitete netzpolitik.org dabei geholfen, zahlreiche politische und gesellschaftliche Entwicklungen in einen Kontext zu setzen und die öffentlichen Debatten mitzuprägen.

Der digitale Raum hat den Zugang zu Wissen revolutioniert. Sind moderne Gesellschaften deshalb informierter und aufgeklärter?

Moderne Gesellschaften können informierter und aufgeklärter sein, aber nicht alle Teile unserer Gesellschaft wollen das auch. Hier ist oft Stammesdenken im Weg; Identitätsfragen verhindern einen rationalen klaren Kopf.

Was muss oder sollte sich ändern?

Aus rationaler Sicht müssten wir alle viel engagierter Maßnahmen gegen die Erhitzung der Erde mit sämtlichen damit verbundenen Kollateralschäden diskutieren. Stattdessen gibt es persönliche Angriffe auf mahnende Wissenschaftsjournalist:innen und jede Veränderung des Status quo wird zum Ende des Abendlandes hochstilisiert.

Wie kann es gelingen, dass spezialisiertes Wissen von der digitalen Gesellschaft einerseits nachgefragt, andererseits aber auch verstanden und ernst genommen wird?

Wir brauchen mehr sichtbare Fachjournalist:innen im öffentlichen Diskurs, um informiertere Debatten führen zu können. Meinungen und Ansichten haben viele. Aber fundiert Wissen zu vermitteln und sich damit auch in Debatten einzumischen, sollte selbstverständlich Bestandteil eines zeitgemäßen Fachjournalismus sein. Es ist schließlich schon immer Aufgabe des Fachjournalismus gewesen, sich in die Wissensvermittlung einzubringen.

Dennoch wurden Wissenschaftsredaktionen gerade in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten immer weiter abgebaut und auf wenige Fachgebiete reduziert. Wie können wir Fachjournalismus stärker in die Programme integrieren und sichtbarer machen?

Indem wir den Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen in die Richtung stärken, mehr Wissensvermittlung in das Programm einzubauen. Gespart wird immer zuerst an Wissensvermittlung – zugunsten von populärer Unterhaltung. Das könnte man auch ändern, wenn man wollte.

Aber wie kann man Fachjournalisten stärker in den öffentlichen Diskurs einbinden? Nehmen wir beispielsweise die Talkshowformate in den Öffentlich-Rechtlichen Programmen. Dort werden Fachjournalisten selten bis gar nicht eingeladen. 

Ich würde mich ja freuen, wenn wir die gängigen Talkshowformate endlich dahin weiterentwickeln könnten, dass konstruktive und differenzierte Debatten möglich werden. Und nicht alles auf pointierte und polarisierende Meinungsbeiträge ausgelegt wird. Das würde einen ganz anderen öffentlichen Diskurs fördern. Gerade Fachjournalist:innen mit ihrer differenzierten Perspektive würde das mehr Möglichkeiten schaffen, Hintergründe und Kontexte zu erklären. Leider stehen dem auch Einschaltquoten-Denken und Spektakel-Wünsche im Weg.

Da privatfinanzierte Medienhäuser wie Fachverlage ihre publizistischen Angebote meist nur gegen ein Entgelt zugänglich machen, bleibt viel Wissen hinter Bezahlschranken hängen. Kann eine digitale Gesellschaft auf Dauer darauf verzichten?

Auch in früheren Zeiten stand Wissen nicht allen frei zur Verfügung. Es ist aber eine Chance des Netzes, das zu ermöglichen, auch wenn Finanzierungsfragen diesem Ziel oft im Wege stehen.

Daher ist es umso wichtiger, sich Gedanken zu machen, wie wir den Zugang zu Wissen und zu publizistischen Angeboten besser finanzieren können. Gemeinwohl-orientierte Angebote wie Wikipedia, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk bieten hier große Chancen. Es ist sehr schade, dass die Politik den Öffentlich-Rechtlichen Fesseln anlegt und diese aufgrund zum Beispiel der Depublizierungsregeln Inhalte wieder aus dem Netz nehmen und in den Archiven verstecken müssen.

Haben Sie Vorschläge, wie sich publizistische Angebote besser finanzieren lassen?

Wichtig wäre, dass endlich der Journalismus gemeinnützig wird, wie es Schach, Verbraucherschutz und Bildung zum Beispiel schon sind. Es gab einige erfolgreiche gemeinnützige fachjournalistische Neu- und Ausgründungen in den vergangenen zehn Jahren, von netzpolitik.org über Finanztip bis zu Correctiv oder dem Science Media Center. Nicht nur in der Verbindung mit der Finanzierung durch Stiftungen, sondern auch durch Spezialisierungen und den Wunsch nach mehr Einordnung und Hintergrund vonseiten der Rezipierenden gibt es hier noch viel Potenzial für den Fachjournalismus.

Wie könnte ein Konsens gefunden werden, von dem Medienschaffende, Verleger, die privatfinanzierten Medienhäuser und der öffentlich-rechtliche Rundfunk gut leben können?

Hier ist kein Konsens möglich, weil private Medien und Verleger aus eigenem Interesse die öffentlich-rechtlichen Anstalten als Konkurrenz fürchten und alles dafür tun, dass diese künstlich klein gehalten werden. Das sind aber Partikularinteressen. Unsere Gesellschaft und auch unsere Demokratie haben ein Interesse daran, dass wir einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit einem guten Auftrag und möglichst wenigen Fesseln haben. Ich finde es immer noch unverständlich, warum Inhalte aus den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen verschwinden, aus rechtlichen Gründen depubliziert werden. Das ist für niemanden nachvollziehbar, aber das hat das Lobbying der privaten Verleger erreicht.

Könnten fachjournalistische Inhalte aus den Medienhäusern nicht in die Wissensangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einfließen – selbst wenn diese nur im digitalen Raum verfügbar wären? Kooperationen könnten doch die noch vorhandenen Wissensredaktionen unterstützen.

Es gibt für Kooperationen sehr viel Potenzial, man muss und sollte es nur versuchen. Mehr Offenheit kann beide Seiten beflügeln.


Fazit

Die Zeit für konzeptualisierten Journalismus, der unserer demokratischen Gesellschaft Zusammenhänge erklärt und allen zugänglich gemacht wird, ist längst angebrochen. Medienangebote hinter Bezahlschranken, die fachspezifisches Wissen nur an kleine Rezipientenkreise verkaufen, können sich moderne Gesellschaften nicht mehr leisten. Sie laufen damit Gefahr, dass sich ein Teil der Gesellschaft Wissen auf Plattformen aneignet, in denen Fakten nicht geprüft und Informationen nicht nach journalistischen Standards verarbeitet wurden. Von einem sichtbaren Fachjournalismus und sich in öffentliche Diskurse einbringende Fachjournalist:innen, die Hintergründe erklären und in den Kontext setzen, würde die Gesellschaft nur profitieren.

Das Gespräch führte Silke Liebig-Braunholz

llustration: Esther Schaarhüls.

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)


Foto: mabb.

Markus Beckedahl ist Mitgründer der re:publica-Konferenz und hat die Digital- und Netzpolitik in Deutschland entscheidend geprägt, auch als langjähriger Chefredakteur des bereits mehrfach ausgezeichneten Digitalmagazins netzpolitik.org. Seit 2023 entwickelt und kuratiert er mit dem Bonn-Institute das b° future festival für Journalismus und kritischen Dialog.

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