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„Ich stelle mir immer die Frage: Was brauchen Menschen, um gute Gesundheitsentscheidungen zu treffen?“

Interview mit der Medizinjournalistin Silke Jäger.

Sie schreibt journalistische Beiträge für ein Fachpublikum und medizinische Laien. Was den qualitativ hochwertigen Medizinjournalismus ausmacht, vor welchen Herausforderungen Gesundheitsjournalist:innen stehen und was sie von Medfluencern hält, erzählt Silke Jäger im Interview.

Wie sind Sie zum Medizinjournalismus gekommen?

Auch, wenn die Formulierung medizinisch unkorrekt ist: Ich habe seit jeher zwei Herzen in meiner Brust. Das eine schlägt für die Medizin, das andere für Sprache/Schreiben/Literatur.

Ich habe eine Ausbildung zur Ergotherapeutin gemacht und zweieinhalb Jahre in einer Praxis mit den verschiedensten Patient:innen gearbeitet – von Kleinkindern bis Hochbetagten, von Menschen mit motorischen Entwicklungsstörungen über solche mit psychischen Problemen bis hin zu Demenz-, Schlaganfall- und Parkinson-Betroffenen. Mir fehlte allerdings oft der Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse, mit welcher Methode man bei bestimmten Problemen die größtmöglichen Effekte erzielen kann. Damals, Mitte der 1990er-Jahre, ging es gerade erst los mit der evidenzbasierten Medizin.

Aufgrund meiner Unzufriedenheit habe ich dann eine Ausbildung zur Buchhändlerin gemacht. Danach lernte ich in einem Lektoratsvolontariat das Büchermachen und das Lektorieren von medizinischen Fachtexten. Wir haben im Verlag damals beispielsweise Buchreihen für Springer und Thieme produziert.

Und wie sind Sie dann Journalistin geworden?

Aus der Elternzeit heraus habe ich mich 2010 selbstständig gemacht, zunächst als Lektorin. Thieme hat mir vorgeschlagen, auch selbst zu schreiben, als Journalistin zu arbeiten. Ich hatte nie Scheu davor, mich weiterzubilden, und sattelte noch eine Ausbildung zur Onlineredakteurin drauf. Nachdem ich anfangs für Fachmagazine gearbeitet hatte, unter anderem als leitende Redakteurin, wollte ich später gerne für medizinische Laien schreiben. Deshalb folgte noch eine Fortbildung in evidenzbasierter Medizin. Denn ich wollte nicht in den Duktus verfallen: „Wenn Sie das gesundheitliche Problem X haben, müssen Sie Y machen, damit es ihnen besser geht.“

Ich habe gelernt: Es ist gut, sehr demütig zu sein gegenüber der Wissenschaft und den Patient:innen. Klare Aussagen zu treffen, ist nicht so einfach – in der Medizin sind die Dinge oft sehr komplex.

Im Jahr 2020 zählte Sie die Redaktion des medium magazins zu den zehn wichtigsten Wissenschaftsjournalist:innen. Was glauben Sie selbst, warum Sie ausgezeichnet wurden?

Als Medizinjournalistin war ich bei Krautreporter automatisch zuständig für Corona. Ich habe mich in einer Sturzfahrt solide ins Thema einarbeiten müssen; ich bin ja keine Mikrobiologin und wissensmäßig nicht wahnsinnig vorbelastet, was Infektionskrankheiten betrifft. Damals habe ich sehr profitiert von meinem Netzwerk aus Medizin- und Wissenschaftsjournalist:innen sowie Kontakten ins Gesundheitswesen und ich habe mich ausgetauscht mit Ärzten und Pflegefachleuten, die auf Corona-Stationen arbeiteten. Meine entscheidende Perspektive waren die Menschen im Gesundheitswesen.

Es gab eine schnelle Abfolge von dramatischen Ereignissen – und zu den allermeisten Fragen keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ich habe versucht, das, was an neuen Entwicklungen gemeldet wurde, mit der Praxis zu verknüpfen. Und habe an den Rückmeldungen zu meiner Arbeit ablesen können, dass das besonders war.

Was sollte man im Medizinjournalismus beachten, um Erfolg zu haben?

Was mir eine Kollegin bei Krautreporter regelmäßig zurückspiegelt: Sie findet es total gut, dass meine Arbeit auf zwei Füßen steht. Dass ich mich zum einen immer bemühe, im Blick zu halten, was die medizinische Wissenschaft sagt. Und zum anderen die Perspektive der Patient:innen einnehme und versuche, die harten Fakten mit Warmherzigkeit zu vermitteln.

Mir ist es wichtig, die Expertise der Gesundheitsberufe, die Evidenz aus klinischen Studien sowie die Bedürfnisse und Werte der Patient:innen miteinander zu verbinden. Man hat Arbeiten, die sich einer medizinischen Fragestellung gewidmet haben, sowie Erfahrungen aus der Praxis der Gesundheitsprofis. Andererseits sind die Patient:innen aber auch Fachleute für sich selbst: Das heißt, die Ärztinnen und Ärzte müssen nicht nur das Wissen aus den Papern, sondern auch die Situation der Hilfesuchenden in die Therapie mit einbeziehen. Das zu vermitteln ist der Reiz an meinem Beruf.

Welchen thematischen Fokus haben Sie in Ihrer Arbeit?

Ich stelle aktuelle Forschungsergebnisse und kluge Köpfe aus der medizinischen Wissenschaft vor und erkläre, wie unser Gesundheitssystem funktioniert und woran es krankt. Außerdem greife ich Fragen von Leser:innen auf. Anders als während der Pandemie beschäftige ich mich in der Regel mit zeitlosen Themen. Ich suche meine Themen danach aus, dass sie mich selbst interessieren.

Meine beiden Hauptveröffentlichungsplattformen sind Krautreporter und RiffReporter. Bei Krautreporter, für die ich auch einen eigenen Newsletter betreue, komme ich mit Ideen, bei RiffReporter, wo ich für „Plan G“ mitverantwortlich bin, arbeite ich mit einem Team, in dem wir uns themenmäßig absprechen. Meinen übrigen Kunden schlage ich Themen vor oder sie fragen mich für eine bestimmte Geschichte an.

Im Moment schreibe ich viel über Frauengesundheit. Demnächst erscheint auch ein Buch zu diesem Thema: Fit und gesund. Für Frauen ab 50. Ein Ratgeber zu Physiologie, Bewegung, Ernährung sowie dazu, wie man Schmerzen behandelt und die geistige Fitness erhält. Außerdem arbeite ich mich nach und nach ins Themenfeld „Klima und Gesundheit“ ein. Mal schauen, was sich daraus ergibt.

Was sind Ihre Tipps an junge Kolleg:innen?

Es ist sinnvoll, sich auf ein bestimmtes Fachgebiet zu spezialisieren, aber auch mich interessieren immer (zu) viele Dinge gleichzeitig. Generell ist mir wichtig, dass ich mit den Leuten, mit denen ich zusammenarbeite, auch gerne arbeite, dass die Chemie stimmt.

In den Texten muss man sehr genau sein und verstehen, welche Bedeutung die Dinge für die Ratsuchenden haben. Beim Thema „Gesundheit“ wird es schließlich schnell existenziell, es können Schmerzen, Behinderung und Tod im Raum stehen. Dennoch muss man verschiedene Erfahrungen mitberücksichtigen und sich davor hüten, zu denken, es gäbe nur eine Antwort, die zu allen Situationen passt. Ich stelle mir immer die Frage: Was brauchen Menschen, um gute Gesundheitsentscheidungen zu treffen?

Was zeichnet Sie aus?

Als Mitglied von Freischreiber, dem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten, richte ich meine Arbeitsweise an dessen Leitlinien aus. Für meine Texte über Gesundheit, Krankheit und Behandlungen bin ich bemüht, mich an den Methoden der Guten Praxis Gesundheitsinformation und der Leitlinie Gesundheitsinformation zu orientieren – wohlwissend, dass das oft ein (zu) hoher Anspruch für die Praxis ist. So versuche ich aber, eine gewisse Qualität zu erreichen: Ich möchte gerne, dass ich den Redaktionen Gesundheitstexte liefere, die verlässliche Informationen enthalten. Gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, dass die Leser:innen nachvollziehen können, wie ich zu meinen Aussagen komme. Mir ist es wichtig, dass sie verstehen, was über die Wirksamkeit von Behandlungen bekannt ist – und was (noch) nicht.

Die größte Herausforderung ist dann manchmal, das Ganze noch so aufzuschreiben, dass es beim Lesen Spaß macht.

Was sind weitere große Herausforderungen bei Ihrer Arbeit als Medizinjournalistin?

Dass es viel Zeit kostet und leider nicht angemessen vergütet wird. Das ist generell im Journalismus ein ganz großes Problem. Man muss sich als Freie breit aufstellen, um davon leben zu können, und eine Mischkalkulation machen. Sprich: Ich brauche auch Aufträge von Kunden, die gut zahlen – wie Redaktionen von Zeitschriften, die von einer Krankenkasse, dem medizinischen Dienst oder einer Kammer herausgegeben werden. Doch genau dies sind die Akteure im Gesundheitswesen, über die man als Journalistin auch kritisch berichten will. Dieses DiIemma spreche ich bei Neukunden immer an. Ich hatte noch nie den Fall, dass ich redaktionell nicht frei war – ansonsten müsste ich die Konsequenz daraus ziehen.

Zudem muss man aufpassen, dass man nicht selbst in Interessenkonflikte gerät. Wenn eine Pharmafirma mit dem Auftrag auf mich zukäme, Texte für ein Medikament zu schreiben, müsste ich mich fragen, welchen Preis das mittel- und langfristig hat. Ob ich mir sicher sein kann, mich im Nachgang nicht dadurch beeinflussen zu lassen. Das ist jetzt ein theoretisches Beispiel, denn Pharmafirmen gehören nicht zu meinen Kunden.

Medizin- bzw. Gesundheitsjournalismus gehört zum Wissenschaftsjournalismus. Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Artikel wissenschaftlich fundiert sind?

Dafür bin ich angewiesen auf unabhängige Wissenschaftler:innen. Der beste Weg zu validen Angaben ist, sich in medizinischen Datenbanken anzugucken, was die Mehrheit der Studien zu der Frage sagt. Beispiel: Welche Ernährung ist besonders vorteilhaft in den Wechseljahren? Ich suche immer nach Studien, die ein bestimmtes Alter nicht überschreiten, um die Aktualität zu gewährleisten. Und ich versuche, mit Expert:innen darüber zu sprechen. Dabei ist es nötig, zwei Quellen zu haben für eine Aussage und Angaben immer nochmals zu überprüfen.

Zeitdruck ist dabei mein größtes Problem. Deshalb nutze ich für die Recherche zeitsparende KI-Tools. Das entbindet einen nicht davon, selbst in die Arbeiten reinzugucken, es erleichtert aber die Suche enorm. Ich schaue nicht nach einzelnen Studien, sondern nach Übersichtsarbeiten, die zusammenfassen, was viele verschiedene Untersuchungen zu einer bestimmten Frage herausgefunden haben.

Wie sieht es mit Social Media aus?

Dazu habe ich ein sehr ambivalentes Verhältnis. Mit LinkedIn tue ich mich schwer: Das Businessnetzwerk stellt sehr auf das Promoten der eigenen Person ab. Ich muss es nicht haben, dass mich Leute als Person gut finden. Als Twitter noch „gesund“ war, habe ich dort sehr viel recherchiert und es als Vernetzungstool auch mit internationalen Kolleg:innen genutzt. Inzwischen bin ich hauptsächlich auf Mastodon unterwegs, teile dort fast täglich Inhalte.

Ich beteilige mich nicht an Fachdiskussionen, sondern verbreite vor allem das weiter, was auf den Plattformen Krautreporter und RiffReporter passiert. Denn diese Genossenschaften haben keine Werbeeinnahmen, sondern sind ausschließlich von der Leserschaft finanziert. Daher müssen wir Inhalte teilen, um sichtbar zu sein.

Wie in allen Branchen gibt es auch in der Medizin Influencer wie DoktorWeigl oder Dr. med. Ulrich Bauhofer. Was halten Sie von solchen „Medfluencern“ (medical influencern), die über Social Media Gesundheitswissen vermitteln?

Das kann total gut sein. Da ist erst einmal nichts gegen einzuwenden, wenn sie ihr Wissen über YouTube, Instagram oder Tiktok an die Allgemeinheit weitergeben.

Allerdings muss man im Detail gucken, wie Medfluencer arbeiten. Wie machen sie transparent, wie sie zu dem Schluss kommen, den sie ziehen? Sonst weiß man nicht, mit welcher Interessenlage Inhalte geteilt werden, ob Informationen weggelassen werden oder etwas überbetont wird. Ein Medfluencing-Vorbild ist für mich die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim.

Welches Ziel steht über Ihrer Arbeit als Medizinjournalistin?

Ich möchte Patient:innen dabei unterstützen, dass sie auf Augenhöhe mit Gesundheitsprofis sprechen können. Im Wesentlichen geht es dabei um informierte Entscheidungen. Dafür braucht es eben auch Wissen aus Studien zusätzlich zur klinischen Erfahrung von Ärzt:innen und Therapeut:innen. Außerdem möchte ich, dass Patient:innen wissen: Sie sind Teil des Behandlungsteams. Es kommt auf ihre Perspektive an. Es ist ihr gutes Recht, eigene Wünsche und Bedürfnisse in Gesundheitsentscheidungen einzubringen.

Jeder kennt die Apotheken Umschau, aber ich wünschte mir mehr Wissen darüber, wo man solche Informationen findet, die ein Abwägen zwischen verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten ermöglichen. Das sind keine journalistischen Angebote! Das Fachwort dafür ist: Gesundheitsinformation. Ein Beispiel: Im unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) gibt es eine Abteilung, die für die Aufklärung der Öffentlichkeit in gesundheitlichen Fragen zuständig ist. Sie ist für den Inhalt von gesundheitsinformation.de verantwortlich. Auf dieser Website findet man qualitativ hochwertige Informationen über 200 häufige Erkrankungen.

Das Projekt „Plan G“ bei RiffReporter kümmert sich übrigens gezielt darum, diesen Ansatz bekannter zu machen. Dort erscheinen dann zum Beispiel solche Listicles, mit denen man bei konkreten Gesundheitsfragen weiterkommt. Dort anzufangen ist sinnvoller, als Dr. Google zu fragen.

Das Gespräch führte Ulrike Bremm.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Foto: Andy Alexander

Das medium magazin zählte sie 2020 zu den Top 10 der Wissenschaftsjournalist:innen. Silke Jäger, Ergotherapeutin, Buchhändlerin, Verlagslektorin und Onlineredakteurin, arbeitet seit 2010 hauptberuflich als freie Medizinjournalistin. Sie schreibt für Menschen, die sich für Gesundheit interessieren und für diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Zu ihren Auftraggebern gehören Fachredaktionen und Onlinemedien, mitgliederfinanzierte, werbefreie Magazine (z. B. Krautreporter oder Gute Pillen – schlechte Pillen), Publikumsmagazine (Brigitte), öffentlich-rechtliche Radiostationen (NDR Synapsen, DLF Nova), Redaktionen, die von Körperschaften des öffentlichen Rechts beauftragt werden (wie Gesundheit und Gesellschaft oder Berliner Ärzt:innen) sowie Verbraucherzentralen. Ihre Schwerpunkte sind Health Literacy (Gesundheitskompetenz), Gesundheitswesen und -politik, Prävention, Frauengesundheit sowie Digital Health.

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