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Interview? Nein, danke!

Gespräche mit Bürger:innen sind für viele Journalist:innen unverzichtbare Informationsquellen und Stimmungsbarometer. Das gilt für den Lokal- und Verbraucherjournalismus, aber auch für datenjournalistische Projekte. Inzwischen verweigern aber immer öfter Menschen die Kommunikation mit Medienvertreter:innen. Wie kann man in solchen Situationen agieren, Konflikte entschärfen und wieder miteinander kommunizieren? Drei Journalistinnen, die Vorgehensweisen und Methoden für schwierige Interviewsituationen entwickelt haben, geben Auskunft.

Hört uns zu!“ betitelte die ARD im vergangenen Jahr eine viel beachtete Dokumentation der Journalistin Jessy Wellmer. Wellmer war durch die Republik gereist, um die Gründe für die zunehmende Distanz zwischen neuen und alten Bundesländern zu ergründen. Dabei ließ sie, neben Prominenten und Expert:innen auch „den Mann“ bzw. „die Frau“ auf der Straße zu Wort kommen. Während die in der Doku gezeigten Menschen offen und ausführlich in die Kamera sprachen, stellen Bürger:innen-Interviews viele Kolleg:innen von Jessy Wellmer inzwischen zunehmend vor Herausforderungen. Immer öfter wird die Auskunft verweigert: Interview? Nein, danke!

Zunehmende Sprachlosigkeit zwischen Journalist:innen und Bürger:innen?

Bisher gibt es für die Entwicklung vor allem anekdotische Evidenz. Dass verschiedene aktuelle Fachveranstaltungen das Thema „Interviewführung“ im Programm hatten und haben – so etwa der Reporter-Workshop 24 und der Workshop zu Listening-Konzepten beim Inspiration Day des Medieninformationszentrums (MIZ) Babelsberg – zeugt aber von der Aktualität des Themas.

Was Untersuchungen zweifellos bestätigen, ist die zunehmende Medienskepsis vieler Deutscher. Ein Beispiel ist die Studie „Medien zwischen Achtung & Ächtung: Eine Untersuchung zur Kluft zwischen Medienakzeptanz & Medienaggression in Ost- und Westdeutschland“, in Auftrag gegeben von der Stiftervereinigung der Presse e. V. Sie stellt fest: „Während das eine Lager – zu dem die große Mehrheit von 75 Prozent der Deutschen zählt – grundsätzlich Vertrauen in die Medien und ihre Arbeit hat, begegnet ihnen ein Viertel der Deutschen ausgesprochen kritisch.“

Die Auswirkungen dieser Skepsis spüren Reporter:innen vor Ort, wenn sie das Gespräch mit den Bürgerinnen suchen.

Die Journalistin Denise Peikert von der Leipziger Volkszeitung hat das Phänomen in einem Beitrag für Deutschlandfunk Kultur eindrücklich beschrieben. Anlass war ihre Recherche über ein Geflüchtetenheim in Nordsachsen. Beim Versuch, mit den Anwohner:innen vor Ort ins Gespräch zu kommen, stieß sie häufig auf Schweigen und Verweigerung. Manche Menschen wollten gar nicht mit ihr sprechen. Ein Gesprächspartner machte seine Zustimmung von einem unveränderten Wortlaut-Abdruck abhängig.

„Menschen weisen mich – noch bevor das eigentliche Gespräch beginnt – darauf hin, dass sie nicht mit ,den Medien‘ sprechen. Das passiert auch bei Umfragen im öffentlichen Raum. Während der Zeit, in der ich Journalistin bin, ist das in jedem Fall schwieriger geworden. Zu Beginn meiner Berufstätigkeit waren die Menschen noch nicht so ablehnend“, erinnert sich Peikert. Für Peikerts Berichtsgebiet Sachsen erfasste der letztjährige Sachsenmonitor ein stark abnehmendes Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Tagespresse.

Die im Bereich Reportage Regional“ vom Medium Magazin als Journalistin des Jahres 2022“ prämierte Denise Peikert recherchiert in ihrem Berichtsgebiet Sachsen häufig über Extremismus. Auch bei weniger sensiblen Themen nimmt sie eine zunehmend ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Journalistinnen und Journalisten wahr – zum Beispiel bei Umfragen im öffentlichen Raum. Foto: RND.

Neu sei, dass die Verweigerung auch bei weniger sensiblen Themen auftritt. Peikert, die vom Medium Magazin als Journalistin des Jahres 2022 in der Kategorie „Reportage regional“ ausgezeichnet wurde, recherchiert oft über Extremismus und ist dabei am ganz linken und ganz rechten Rand der Gesellschaft unterwegs. „Dann arbeite ich oft ganz klassisch mit journalistischen Konfrontationen. Da gibt es dann häufig keine Antwort. Aber die Ablehnung erlebe ich auch bei ganz anderen Themen“, sagt die Leipziger Journalistin.

Gesprächspartner:innen „aufschließen“

Eine Spezialistin für das „Aufschließen“ schwieriger Geprächspartner:innen ist die Journalistin und Buchautorin Greta Taubert. Für ihr Buch „Guten Morgen du Schöner – Begegnungen mit ostdeutschen Männern“ hat sie Interviews mit Menschen geführt, „die normalerweise nicht so gerne mit Medien reden, oder überhaupt nicht so gerne reden“, wie sie sagt.

Die These, dass die Sprachlosigkeit zwischen Journalist:innen und Bürger:innen zunimmt, teilt Taubert – aber mit Einschränkungen. „Journalist:innen wird dann misstraut, wenn sie ihre Interviewpartner:innen objektivieren, also nur einen Zitatgeber suchen. Das ist dem Journalismus aber nicht inhärent“, sagt Taubert.

Kein neues Phänomen

Eine Langzeitbeobachtung schwieriger Interviewsituationen kann Carmen Thomas besteuern. Ab 1968 arbeitete sie als Moderatorin und Reporterin für den WDR. Als erste Frau moderierte sie das „Aktuelle Sportstudio“ im ZDF und dann 20 Jahre lang „Hallo Ü-Wagen“, die erste Mitmachsendung im deutschen Rundfunk. Für dieses Format interviewte Thomas Menschen live zu – vom Publikum eingereichten – Alltags- und Tabuthemen. Heute leitet sie eine Moderationsakademie.

Interviewverweigerung kennt Thomas aus ihrer eigenen langjährigen Berufspraxis. Als junge Journalistin nahm sie bei Straßeninterviews die Zurückweisungen oft als kränkend wahr. „Da reichte schon eine grob abwehrende Handbewegung. Es hat gedauert, bis ich irgendwann verstand, dass es ein gutes Recht ist, keine Lust auf ein Interview zu haben, und dass es auch sehr an meiner Herangehensweise liegt, ob ein Interview zustande kommt und wie es dann verläuft“, erinnert sie sich.

Gründe für die Verweigerung

Die Gründe für die Verweigerung werden von den Journalist:innen als vielfältig wahrgenommen. Oft halten Bürger:innen Journalist:innen für voreingenommen, abgehoben und nicht dazu bereit, anderslautende Meinungen anzuhören und wiederzugeben. Zudem unterstellen sie ihnen eine politisch eher links orientierte Haltung, die abweichende Überzeugungen im Grunde verurteilt oder diffamiert.

Als positive Entwicklung wiederum beobachtet Carmen Thomas, dass der Respekt der Bürger:innen vor der Technik der Interviewer:innen abgenommen hat. „Früher hatten Menschen ja noch Angst vorm eigenen Anrufbeantworter. Inzwischen ist der Umgang mit Medien und Technik, schon durch den häufigeren Umgang mit Handys, deutlich entspannter geworden. Auf der anderen Seite hat die ganze Welt zurzeit viel mit dem Phänomen der Reaktanz, zu Deutsch ,Blindwiderstand‘, zu tun“, sagt sie. 

Reaktanz als Reaktion auf Interviewfragen

Die langjährige Moderatorin, Reporterin, Dozentin und Buchautorin Carsten Thomas beschreibt das Abwehr-Gefühl „Reaktanz“ als wichtigen Schlüsselbegriff, um eine Verweigerungshaltung von Menschen in Interviewsituationen verständlich zu machen. Foto: ModerationsAkademie für Medien + Wirtschaft.

Mit dem Begriff „Reaktanz“, zu dem sie ein Buch geschrieben hat, bezeichnet Thomas ein fast körperliches Abwehr-Gefühl bei Gesprächspartner:innen, „quasi den dicken Hals oder den harten Bauch, begleitet von automatischem Dagegen-Schildern. Das ist noch vor dem Denken spürbar“, beschreibt sie das Phänomen. Verstärkt werde diese Abwehrhaltung durch die allgemeine Lage: politisch, ökologisch, gesellschaftlich, KI-technisch. Geprägt werde die Haltung auch von der Angst vor gigantischen Veränderungen. Das mache viele in Interviewsituationen automatisch „reaktant“, glaubt Thomas. Zu dem Thema war sie in der Talksendung Markus Lanz eingeladen.

Hinzu komme, dass es in den Medien tatsächlich deutlich weniger konservative und weit mehr politisch eher linksliberal Orientierte gebe. Die dann selbst auch eher unwirsch „reaktant“ auf des Volkes – populistisch als rechts eingestufte – Stimme reagieren. Zur Publikums-Reaktanz gehöre dann: „Ihr seid doch alle von der Lügenpresse!“

Buchautorin Greta Taubert ist in diesem Zusammenhang das Stichwort Instrumentalisierung wichtig. Oft hätten Reporter:innen ihre Gesprächspartner:innen  instrumentalisiert, um ihre Formate zu befüllen und ihre Thesen zu bestätigen. Dabei seien oft keine offenen Fragen gestellt und die Interviewten lediglich benutzt worden, um bestimmte Statements zu bekommen. „Diesen Zusammenhang spüren die Menschen und das führte dann irgendwann zur Gesprächsverweigerung“, ist sich Taubert sicher.

Methoden, um Widerstände aufzulösen

Kann man Gesprächsverweigerung durch Informationen auflösen? Müssen Journalist:innen ihre Arbeit und generell „die Medien“ selbst besser erklären? Vor Ort, bei ihrer Arbeit, im direkten Kontakt mit den Interviewpartner:innen?

Authentische Kommunikation in Augenhöhe

Denise Peikert tut das und macht den Menschen, mit denen sie sprechen will, bei der Bitte um ein Interview konkrete Angebote. Wenn sie Protagonist:innen anschreibt oder anruft, versucht sie transparent zu erklären, was sie vorhat, welche Art von Text sie plant, worum der sich dreht und mit welchen Fragen sie in die Recherche geht.

Gleichzeitig erklärt sie, welche Haltung sie selbst zu dem Thema hat, aber auch welche offenen Fragen und warum sie sich für die Meinung genau dieser Person interessiert. „Das verschafft mir eine Art von Authentizität und Transparenz. Die Kommunikation mit meinen Gesprächspartner:innen geht dann in einen Austausch und ist keine Einbahnstraße mehr. Im Grunde funktioniert diese Methode zumindest so gut, dass Menschen mit mir reden, die das normalerweise vielleicht verweigert hätten“, sagt Peikert.

Kaskadische Gesprächsführung

Greta Taubert hat für ihre Interviews mit ostdeutschen Männern eine, wie sie es nennt, „kaskadische, treppenartige Gesprächsführung“ gewählt. Sie „stieg“ dabei über unverfänglichere Themen, etwa das allgemeine Zeitgeschehen, immer eine Stufe tiefer, hin zu persönlicheren Themen. „Auf jeder Stufe schaut man nach persönlichen Ankermöglichkeiten, dockt dort an und arbeitet sich so zu den relevanten Themen vor“, beschreibt Taubert ihre Arbeitsweise. Die Technik hat sich für sie bei ihrem Buchprojekt bewährt. Bei Straßeninterviews kann sie sich das Vorgehen aber weniger gut vorstellen.

Sucht die Begegnung auf Augenhöhe: Die erfahrene und mehrfach ausgezeichnete Journalistin Greta Taubert hat als Autorin des Buches „Guten Morgen, du Schöner – Begegnungen mit ostdeutschen Männern“ viele Erfahrungen mit schwierigen Interviewsituationen gesammelt. Sie baute ihre Gespräche kaskadisch“ auf und führte von unverfänglichen zu persönlicheren Themen. Foto: Stephan Pramme.

Außerdem versucht Taubert, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und nicht von der erhabenen Position der Vertreterin einer prominenten Medienmarke. „Vor 10 oder 15 Jahren habe ich immer ganz stolz Sätze, wie ,Ich bin Greta Taubert vom Spiegel‘ oder ,Ich bin Greta Taubert von der Zeit‘ nach vorne geschoben“, erinnert sie sich. Heute versucht sie, ihr Gegenüber zunächst über ihr Erkenntnisinteresse aufzuklären und zu vermitteln: Was möchte ich herausfinden? Warum denke ich, dass er oder sie eine Person ist, der oder die mir dazu etwas erzählen kann?

Für sich selbst versucht sie immer zuerst zu klären: Muss ich ihn oder sie wirklich für ein Gespräch treffen? Oder brauche ich sie lediglich als – hier zitiert sie den Autor Max Goldt – „Kommentarwichsmaschinen“? „Da sollte man sich als Journalist:in ehrlich machen. Redaktionen bauen ja oft einen Druck auf und drängen einen zum Einsammeln passender Statements“, sagt Taubert.

In ihrem Buch über reaktante Gesprächspartner:innen nennt Carmen Thomas konkrete Verhaltensregeln. Die einzelnen Buchkapitel heißen zum Beispiel „Zulassen statt zumachen“, „Addieren statt konkurrieren“, „Verwerten statt bewerten“ oder „Umnutzen statt runterputzen“. Ihre Empfehlungen sind aus selbst erlebten Geschichten entstanden. Ziel ist, in solchen Situationen fairer und gelassener zu reagieren.

Thomas setzt in Interviews gerne „symbolisierende“ Gegenstände zur Gesprächseröffnung und als Türöffner ein, um in Interviews einzusteigen. „Dann entsteht ein Dreieck aus Interviewer, Interviewten und dem Gegenstand und das senkt bei den befragten Personen unwillkürlich die Start-Angst“, sagt Thomas. Als Beispiel nennt sie eine paradoxe Sanduhr, die in umgekehrter Richtung, von unten nach oben läuft. Die zeigt sie ihren Interviewpartner:innen und steigt über eine Beschreibung des  Gegenstands ins Gespräch ein. „Das Bild kann als Beweis dienen, dass Änderungen möglich sind, auch wenn Tee-Uhren jahrhundertelang von oben nach unten gelaufen sind“, sagt Carmen Thomas.

Fazit:

Journalist:innen müssen sich auf eine zunehmende Medienskepsis – teilweise Medienaggression – einstellen, nicht nur in regionalen Hotspots. Sie sollten Gesprächspartner:innen auf Augenhöhe gegenübertreten und sich die Zeit nehmen, ihre Position, ihr Vorhaben und ihre Arbeitsweise zu erklären. Gespräche sollten ehrlich und ergebnisoffen stattfinden und nicht nur dem „Abfischen“ von ins inhaltliche Raster der Reportage passenden Statements dienen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)


Foto von Gunter Becker / Copyright Eberhard Kehrer

Foto: Eberhard Kehrer

Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische und digitale Medien. Anfangs für Tageszeitungen, z.B. die taz und den Berliner Tagesspiegel und inzwischen vorwiegend für Fachmagazine. Für den Fachjournalist, das Medium Magazin und Menschen Machen Medien verfolgt er die digitale Transformation der Medien, stellt neue Berufsprofile vor und schreibt Service-Beiträge für Medienschaffende.

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