Good bye, Greenpeace Magazin, hello atmo: Mut zum Print-Journalismus in schwierigen Zeiten
Interview mit der Journalistin und Mitgründerin des Umweltmagazins atmo Frauke Ladleif.
Im September 2024 erschien nach mehr als 30 Jahren das letzte Heft des Greenpeace Magazins. Den Mitarbeiter*innen wurde zum Ende August gekündigt, auch Frauke Ladleif. Sie gründete mit vier weiteren Ex-Kolleg*innen das neue Umweltmagazin atmo. Wir fragten sie, warum für sie kein Weg daran vorbeiführte, wie die Redaktion wirtschaftlich arbeiten und die dringend notwendigen Abonnent*innen werben will und was ihre Vision von unabhängigem Qualitätsjournalismus ist.
Wie mutig muss man sein, ohne ein Medienhaus im Rücken aus der Arbeitslosigkeit heraus ein Magazin aus der Taufe zu heben?
Wir sind einfach mal ins kalte Wasser gesprungen und machen das, weil wir die Notwendigkeit sehen. Denn mit der Einstellung des Greenpeace Magazins fehlt ein Heft, das Umweltschutz als Gesellschaftsaufgabe sieht. Diese Lücke wollen wir schließen.
Fünf ehemalige Kolleg*innen haben die GmbH gegründet, aber unser Kernteam besteht aus sieben Kolleg*innen. Hinzu kommen zwei Frauen, die uns bei Recherchen und Social Media unterstützen, und einige, die uns ehrenamtlich helfen. Im Grunde war uns sofort klar, dass wir weitermachen.
Warum?
Wir hatten einfach das Gefühl, genau jetzt genau das Richtige zu tun. Denn in Zeiten, in denen Desinformation und Populismus grassieren, in denen sich Lobbyinteressen durchsetzen und Umweltpolitik zurückgedreht wird, ist unabhängiger Umweltjournalismus wichtiger denn je. Über die Themen Klima und Natur wird viel zu selten oder zu oberflächlich berichtet, ohne den nötigen Kontext. Diese Themen sind ins Hintertreffen geraten – wir wissen aber aus vielen Umfragen, dass sich viele dafür interessieren.
Wie finanzieren Sie sich?
Wir sind komplett leser*innen-finanziert. Daher können wir unser Magazin nur auf den Markt bringen, wenn genügend Menschen verbindlich zusagen, für unabhängigen Umweltjournalismus zu bezahlen – und zwar 75 Euro pro Jahr. Natürlich buchen wir erst Geld ab, wenn atmo dann auch erscheint.
Sie brauchen bis Mitte Dezember 17.000 Abos oder, anders ausgedrückt, 1.275.000 Euro, um starten zu können. Wie liegen Sie im Zeitplan?
Bisher haben wir 12.500 Abos. Wir vertrauen bei unserer Endspurtkampagne auf unsere Abonnent*innen. Wir bitten sie darum, über ihre Kanäle für atmo zu trommeln. Das haben wir uns bei Republik, einem Schweizer Online-Magazin, abgeguckt, das mit einer solchen Botschafter-Kampagne vor acht Jahren sehr erfolgreich war.
Zudem haben wir prominente Unterstützer*innen wie Luisa Neubauer, die früher Praktikantin beim Greenpeace Magazin war. In einem Video auf ihrem Instagram-Account sagt sie über atmo: „Man sieht, wie ein Kampf um die Wahrheit ausbricht und dass wir den unabhängigen Journalismus beschützen müssen. Diese Redaktion möchte genau das.“
Das Greenpeace-Magazin, bei dem Sie acht Jahre lang als Redakteurin tätig waren, hatte zuletzt 50.000 Abonnent*innen. Warum haben erst 12.500 Menschen atmo abonniert?
Die Hürde, ein Abo neu abzuschließen, ist höher als die, ein langjähriges Abo aus alter Gewohnheit beizubehalten. Aber diese 12.500 sind gar nicht so wenig, wie wir von Menschen aus der Medienbranche hören. Immerhin haben wir durch die direkte Ansprache und E-Mail-Marketing eine Conversion von 20 Prozent. Und die, die uns abonnieren, sind echte Fans.
Wir bekommen so viele tolle E-Mails und Anrufe und erfahren wahnsinnig viel Unterstützung von allen Seiten, auch aus anderen Medienhäusern. So haben wir mit vielen Mediengründer*innen und Chefredakteur*innen sprechen können: Alle sind gern bereit, ihre Erfahrungen mit uns zu teilen oder mal einen Blick auf unsere Pläne zu werfen. Das ist wahnsinnig stärkend. Schon allein deswegen hat es sich gelohnt, dieses Projekt an den Start zu bringen.
Und unsere Abonnent*innen haben uns mittlerweile rund 50.000 Euro zur Überbrückung überwiesen, zusätzlich zum Abo – in dem Wissen, dass unser Projekt möglicherweise gar nicht zustande kommt. Das gibt uns Hoffnung und Kraft. Ohne dieses Geld hätten wir atmo noch nicht so weit bringen können. Wir haben gar nicht so offensiv darum gebeten, denn wir haben gelernt, dass man nur einen Call to Action (CTA) nennen darf – und der lautet: Schließt ein Abo für atmo ab!
Wie oft soll atmo dann erscheinen?
Die erste Ausgabe ist für Frühjahr 2025 geplant. Wir wollen sechs Hefte im Jahr mit einem Umfang von jeweils 84 Seiten für unsere Leser*innen herausbringen.
Über welche Themen schreiben Sie?
Die inhaltlichen Schwerpunkte von atmo sind der Schutz der Lebensgrundlagen, die Bewahrung der Artenvielfalt und der Erhalt der Ressourcen. Klima, Natur und Menschenrechte sind die wichtigsten Themen unserer Zeit und sie wirken in alle Bereiche unserer Gesellschaft hinein: in Politik und Wirtschaft, in den Alltag. Wir ordnen ein, zeigen Zusammenhänge auf, bieten Grundlagen und Argumente für Diskussionen sowie praktische Tipps für den Alltag.
Es ist zwar wichtig, dass jeder seinen Lebensstil ändert. Aber es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Der derzeitige Way of Life ist einer, der auf der Ausbeutung von Ressourcen und auf Umweltverschmutzung beruht. Das ist am Ende auch eine Kulturfrage. Meinen wir es ernst, müssen wir an Grundsätzliches ran: an Werte, Statussymbole, Gewohnheiten. Aber zum Glück gibt es schon ganz viele Vorbilder, Menschen, die im Kleinen und Großen an den Wenden arbeiten, indem Firmen beispielsweise wieder langlebige Produkte herstellen und in Kreisläufen denken.
Aus den USA erreichen uns bad news.
Trump beschneidet die Kompetenzen des Umweltamts, setzt auf Öl und Gas. Das wird den Klimaschutz um Jahre zurückwerfen – aber diese Zeit haben wir nicht. Schaut man sich die Fakten an, kann man schnell zu dem Schluss kommen: Die Apokalypse naht. Aber wir haben keine Zeit zu verzweifeln – lasst uns loslegen!
Welche Botschaft ist Ihnen wichtig?
Wir verfolgen den Ansatz des konstruktiven Journalismus. Uns ist es ein Anliegen, den Finger in die Wunde zu legen, Probleme aufzuzeigen und die Täter zu benennen. Aber wir wollen unsere Leser*innen nicht damit allein lassen, sondern ihnen zeigen: Eine lebenswerte Zukunft ist möglich!
Wie das?
Früher war die Zukunft irgendwie offen. Ein Ort voller Möglichkeiten, vielleicht besser als die Gegenwart. Heute steht sie für Angst und Untergang. Und wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.
Fachleute sprechen von einem Zukunftsdefizit. Von Verunsicherung und Zynismus im Angesicht der Krisen. Und dieser Mangel an Zukunft hat Folgen. Politische Kräfte erstarken, die Fakten als Ideologie und den Schutz der Lebensgrundlagen als Verbotspolitik verkaufen. Und während Populismus die Gesellschaft spaltet und fossile Lobbys den Fortschritt bremsen, berichten Medien oft verkürzt oder einseitig negativ über Klima, Natur und Gerechtigkeit. Menschen wenden sich von Nachrichten ab – wie der News Report des Reuters Institute seit Jahren zeigt – und sie wenden sich scheinbar einfachen Wahrheiten zu.
Aber es gibt ja die Geschichten des Gelingens – und darüber wollen wir berichten. Das Schöne daran ist: Indem wir eine Krise bekämpfen, bekämpfen wir alle anderen gleich mit. Dann fühlt sich die Herausforderung nicht mehr so überfordernd an. Es gibt Lösungsansätze für multiple Krisen, die auch multipel wirken. Mit dem Schutz der Moore schützen wir die Artenvielfalt UND das Klima. Mit dem Aufbrechen des Betons in Städten schafft man Hochwasserschutz, Hitzeschutz, Artenvielfalt, bessere Luft und gesündere Menschen.
All das ist eine Frage der Kommunikation: Wir müssen wegkommen von „bad news are good news“, um gegen die Nachrichtenmüdigkeit anzugehen, hin zu dem, was sich verbessert, Spaß macht, die Zukunft lebenswert macht. Das ist überlebenswichtig für die Medienbranche – und aus meiner Sicht auch guter Journalismus: Wir erweitern die Perspektive und zeigen auch diejenigen, die schon etwas unternehmen.
Auf welche journalistischen Elemente legt die Redaktion besonderen Wert?
Wenn ich selbst ein Magazin lese, ist es mir wichtig, dass die Themen klar eingeordnet werden. Und dass die Fakten oder die Thesen am Ende nochmals als Häppchen serviert werden.
Wir haben in den vergangenen Monaten mit vielen Leser*innen gesprochen: Die Menschen wollen, dass wir die Quellen unserer Recherche nennen. Und am Ende die Fakten noch einmal als Quintessenz auflisten. Mit dieser Zusammenfassung liefern wir ihnen die Argumente, um fundiert mitdiskutieren zu können.
Was ist eure Vision für atmo?
Das gedruckte Magazin wird im Zentrum der „atmo Sphäre“ stehen. Ja, der Markt für gedruckte Zeitschriften steckt in der Krise. Papierpreise schwanken und Abos werden gekündigt. Aber viele Leserinnen und Leser – auch die jüngeren – wollen nach wie vor etwas in den Händen halten. Daneben wird es atmo auch digital geben, als App und über Messenger, auf Social Media sowie in themenspezifischen Newslettern.
Wir wollen inspirierende Menschen, die sich auf vielfältige Weise für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen, über Gesprächsformate oder Workshops zusammenbringen mit anderen, die sich ebenfalls engagieren wollen oder es schon tun. Wir möchten unsere Leserinnen und Leser an der Themensuche und der Recherche beteiligen und ihnen Formate des Austauschs mit der Redaktion, mit Fachleuten und anderen Leserinnen und Lesern bieten, zunächst online, perspektivisch aber auch in Präsenz. Die „atmo Sphäre“ soll eine Plattform für Fakten, Studien und Debatten sein, auf der sich Forschende, Medienschaffende, Aktive, NGOs und Leser*innen begegnen.
Welche Ideen haben Sie, um wirtschaftlich arbeiten zu können?
Wir wollen uns erweitern – hin zum „mitgliederfinanzierten“ Journalismus mit Beteiligung der Menschen, die unsere Arbeit ermöglichen. Das machen derzeit einige Medienprojekte erfolgreich vor. Manche setzen auf ein Genossenschaftsmodell und sind über ihre Mitglieder finanziell abgesichert – wie Krautreporter oder das Schweizer Magazin Republik. Andere finanzieren sich durch den Status der Gemeinnützigkeit über Spenden und Stiftungen, wie Correctiv.
Mit den Menschen hinter diesen Projekten durften wir sprechen. Auch etwa mit den Macher*innen von Neue Narrative, die es ebenfalls gewagt haben, ein neues, hochwertiges Printmagazin herauszubringen. Ihnen gelingt es, für ihre Inhalte auch neue digitale Formate zu entwickeln. Oder Brand eins, die rund um ihr fantastisches Magazin eine ganze Markenwelt aufgebaut haben, mit Veranstaltungen, exklusiven Workshops und Kooperationen wie mit dem Carlsen Verlag. Auch wir können uns perspektivisch eins dieser Modelle vorstellen.
Unser Rat an andere Gründer*innen: keine Scheu zu haben, auf erfolgreiche Vorbilder zuzugehen. Die Türen öffnen sich, Kolleg*innen unterstützen mit Rat und Tat.
Und nicht zuletzt: Wie soll die Zusammenarbeit mit freien Fachjournalist*innen aussehen?
Unser Ziel ist, dass wir die freien Kolleg*innen vernünftig bezahlen können. Auch das muss man nachhaltig machen. Der finanzielle Druck und die Selbstausbeutung in der Branche sind so groß. Viele Kolleg*innen können sich unseren Beruf im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr leisten, was zu einem Braindrain im Journalismus führt. Deshalb ist es so wichtig, dass draußen verstanden wird: Guten Journalismus gibt es nur, wenn ihr bereit seid, dafür Geld zu zahlen!
Das Gespräch führte Ulrike Bremm.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Frauke Ladleif ist Journalistin, Mitgründerin und zusammen mit Katja Morgenthaler Geschäftsführerin von atmo. Zuvor arbeitete sie viele Jahre als Umwelt- und Wirtschaftsjournalistin, unter anderem beim Greenpeace Magazin und der Financial Times Deutschland.
Ich war von Anfang an ein begeisterter Leser des Greenpeace Magazins und habe es lange Zeit sehr geschätzt. Nach fast zwanzig Jahren habe ich 2017 mein Abonnement gekündigt. Warum? Weil sich das Magazin ab etwa 2015 immer weiter von reinen Umweltthemen entfernte und stattdessen zunehmend woke Ideologie publizierte. Go woke, go broke.
Atmo werde ich testen, befürchte aber nach einem Blick auf die Themen unausgewogene und ideologische Berichterstattung. Mal schauen, vielleicht täusche ich mich. Vielleicht kommt das Magazin ohne Trump-/Musk-/AFD-/Kapitalismus-Bashing aus und zeigt auch andere Perspektiven wie die von Bjørn Lomborg, Michael Shellenberger, Steven Koonin, Matt Ridley, John Christy und Roy Spencer.