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Filmkritik zu „Die Fotografin“: Viel Fokus, wenige Facetten

Das Biopic „Die Fotografin“ widmet sich Lee Millers mutiger Frontberichterstattung aus dem Zweiten Weltkrieg, wagt aber keine tiefere Auseinandersetzung mit den Besonderheiten ihres Werks.

Es fällt ein warmes Licht in das gemütliche Wohnzimmer des Wohnhauses der Farley Farm an diesem Tag im Jahr 1977, als Lee Miller (Kate Winslet) einem jungen Journalisten (Josh O’Connor) gegenübersitzt, doch die Atmosphäre bleibt kühl. Die Geschichte hinter ihren Fotos wolle er hören, sagt der Reporter zu seiner Interviewpartnerin und zeigt sich verwundert darüber, wie wenig die Öffentlichkeit über ihr fotografisches Werk wisse. Doch die inzwischen siebzigjährige Lee – die Altersmaske hat an Winslet hervorragende Arbeit geleistet – weist ihn brüsk zurück: Sie sei nicht in den Krieg gezogen, damit die Leute ihren Namen kennen.

Eine späte Entdeckung

Diese imaginierte und etwas rätselhafte Interviewsituation bildet den Rahmen für das nun erschienene biografische Drama Die Fotografin, an deren Entstehung die britische Schauspielerin Kate Winslet gemeinsam mit Lee Millers Sohn und Nachlassverwalter Antony Penrose schon seit 2016 gearbeitet hatte. Penrose, 1947 geboren, fand erst nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1977 deren in Kartons und Truhen verstaute Fotonegative und Aufzeichnungen. Auf diese Weise erfuhr er, dass seine Mutter während des Zweiten Weltkriegs als Kriegsberichterstatterin für den Verlag Condé Nast gearbeitet und dabei sowohl aus Lazaretten, zerstörten französischen Städten und schließlich aus den befreiten Konzentrationslagern von Dachau und Buchenwald korrespondiert hatte. Die Dokumente und Fotos legte Antony Penrose in den von ihm gegründeten Lee Miller Archives an und verfasste eine Biografie zu seiner Mutter, die 1988 unter dem Titel „The Lives of Lee Miller“ erschien. An dieser Erzählung über eine rastlose Frau mit vielfältigen Interessen und mit diversen Stationen in ihrem Leben orientiert sich Die Fotografin weitgehend, wobei der Film den Fokus auf Lee Millers Kriegsberichterstattung legt.

Unbeschwerte Zeit in Frankreich: ab 3.v.l.: Paul Éluard (Vincent Colombe), Nush Éluard (Noémie Merlant), Solange D’Ayen (Marion Cotillard), Lee Miller (Kate Winslet), stehend: Roland Penrose (Alexander Skarsgård), Man Ray (Sean Duggan), Ady Fidelin (Zita Hanrot) – © Sky UK Ltd / Kimberley French.

Aus der Rahmenhandlung heraus führt Lee selbst zunächst an das Jahr 1938 heran, in dem sie scheinbar unbekümmert ihrer Fotografie in Paris nachging und in Künstlerkreisen verkehrte. Umringt von ihren Freunden, darunter Solange D‘Ayen (Marion Cotillard), damals Modejournalistin bei der französischen Vogue, sowie der surrealistische Dichter Paul Éluard (Vincent Colombe) und dessen Frau Nusch (Noémie Merlant), trifft sie auf den britischen Künstler und Kunsthistoriker Roland Penrose (Alexander Skarsgård). Als unkonventionelle Freidenkerin wird Lee in diesen ersten Szenen charakterisiert, aber auch als harsch und fordernd, vor allem im Umgang mit Männern. Diese Darstellung wird beibehalten bis in die Zeit, in der sie, wenige Jahre später, mit Roland in London lebt, während inzwischen der Zweite Weltkrieg tobt.

Auf der rastlosen Suche nach der Wahrheit

Lee heuert damals bei der britischen Vogue unter der freundlichen und ihr zugewandten Chefredakteurin Audrey Withers (Andrea Riseborough) an und fotografiert für das Magazin den Alltag in der von den „Blitz“-Angriffen der deutschen Luftwaffe gezeichneten britischen Hauptstadt. Doch das Voranschreiten des Kriegs auf dem europäischen Festland lässt Lee keine Ruhe – sie will nicht untätig bleiben und setzt alles daran, als Journalistin für die Frontberichterstattung akkreditiert zu werden. Während die britische Regierung Frauen diesen Zugang verweigerte, zeigte sich die US-Armee offener: Als amerikanische Staatsbürgerin darf Lee vom amerikanischen Kriegseinsatz für den Verlag Condé Nast korrespondieren.

Ihr Weg führt sie gemeinsam mit Freund und Liebhaber David E. Scherman (Andy Samberg), Reporter für das Life-Magazin, zunächst in die Normandie. Trotz ihrer Akkreditierung wird ihr und ihrer Rolleiflex-Kamera zunächst nur der Zugang zu Feldlazaretten und Krankenhäusern gewährt. Was Lee dort an schweren Verletzungen und Amputationen zu sehen bekommt, ist zwar nur eine Ouvertüre zu den weiteren Gräueln des Kriegs, aber ein sichtbarer Schock, den sie jedoch schnell verarbeitet: „Auch wenn ich wegschauen wollte, wusste ich, dass ich nicht konnte“, erklärt Winslets Stimme aus dem Off.

Die offenen und unsichtbaren Wunden

Das Thema der journalistischen Dokumentation des Kriegsgrauens als Gewissensfrage und zugleich kaum schulterbare Verantwortung zog sich bereits durch das Biopic A Private War über die 2012 verstorbene Kriegsberichterstatterin Marie Colvin – in Die Fotografin wird es mit mindestens ebensolcher Wucht aufgegriffen. Regisseurin Ellen Kuras, die zuvor als Kamerafrau für namhafte Filmemacher wie Jim Jarmusch, Michel Gondry und Spike Lee gearbeitet hatte, findet treffende Bilder für Lees rastlosen Weg durch die gefährlichen Wirrnisse des Kriegs. Dabei orientieren sich viele dieser Bilder an den damaligen Fotografien von Lee Miller – so beginnt eine Szene damit, wie sie mitten im Schlachtgetümmel um Saint Malo 1944 fast ihr Leben verliert, aber aus einem auf dem Boden liegenden Soldatenstiefel nebst Patronengurt eines ihrer später abgedruckten symbolträchtigen Fotos macht.

Je länger Die Fotografin Lee durch den Krieg begleitet, desto genauer zeichnet sich das Bild ab, das dieses Biopic von seiner Protagonistin zeigen will. So erfasst Lees Kamera eben nicht nur die offensichtlichen Wunden und Zerstörungen, die die harten Gefechte hinterlassen haben, sondern auch die in der Kriegsberichterstattung häufig unbeachtet bleibenden Momente erschreckender Gewalt, die ihr unterwegs begegnen. In einer Szene erlebt sie mit, wie junge französische „Kollaborateurinnen“, denen Affären mit deutschen Soldaten nachgesagt werden, einer geifernden Menge vorgeführt und kahlgeschoren werden.

Lee Miller (Kate Winslet), selbst Opfer eines Kindheitstraumas, dokumentiert als Kriegsfotografin auch die häufig unbeachtet bleibenden Momente von Gewalt. © Sky UK Ltd.

„Es gibt unterschiedliche Arte von Wunden – nicht nur die, die du sehen kannst“, erklärt sie dem jungen Journalisten im Interview und macht unverkennbar deutlich, dass auch sie solche Wunden in sich trägt. Was Die Fotografin immer wieder im zunehmend von Selbstzerstörung geprägten Verhalten und in Äußerungen von Lee andeutet, wird gegen Ende des Films sehr explizit benannt: Ihr eigenes, unbewältigtes Kindheitstrauma sucht sie während des Kriegs unentwegt heim, vor allem, wenn sie Opfern sexualisierter Gewalt begegnet.

Eine Fotografin ohne Kunst und Kontext

Dies ist eine mögliche und durchaus naheliegende Deutungsweise von Lee Millers journalistischer Motivation während des Zweiten Weltkriegs. Doch mit der konstanten Fokussierung auf ihre traumatischen Erfahrungen, die sich auch in Kate Winslets recht einseitiger Darbietung als ruppige, zunehmend dem Alkohol und der Verbitterung anheimfallende Frau äußern, verliert Die Fotografin einiges an Potenzial, die Bedeutsamkeit von Lee Millers journalistischer und dokumentarischer Arbeit zu erfassen. So war Miller deutlich vor 1938, wenn die filmische Erzählung beginnt, mit ihrer Fotografie in Künstlerkreisen bekannt geworden: Ende der 1920er-Jahre wanderte sie, nach einer Fotomodel-Karriere in New York, nach Paris aus. Sie wurde zur Studentin, Geliebten und Muse des surrealistischen Fotografen Man Ray, mit dem sie 1932 gemeinsam den Dunkelkammer-Effekt der Pseudo-Solarisation wiederentdeckte. Ihre eigenen fotografischen Arbeiten waren vom Dadaismus und Surrealismus geprägt. Und diese Merkmale, so ist in einigen akademischen Werken zu lesen, finden sich in ihrer kriegsdokumentarischen Arbeit wieder.

In ihrem Artikel „Lee Miller’s Revenge on Fascist Culture“ (2012) führt etwa Kunsthistorikerin Patricia Allmer aus, dass Millers Fotos von den 1945 im Rathaus von Leipzig fotografierten Leichen nicht nur dokumentarische Beweise für ideologisch motivierte Gruppensuizide lieferten, sondern sich als bewusste Kompositionen herausstellten, die den Zusammenbruch nationalsozialistischer Ästhetik darstellen sollten. Doch ebendiese Intentionalität von Lee Millers Arbeit wird in Die Fotografin kaum reflektiert. Die erwähnten Gruppensuizide werden im Film von ihr schnell und ohne viel Aufhebens um Rahmung und Arrangement abgelichtet. Und selbst als sich der Film der Entstehung des wohl berühmtesten Fotos von Lee Miller und David Scherman widmet, fehlt es an jeglichem Hintergrund: Angekommen in Hitlers Privatwohnung am Prinzregentenplatz in München setzt Lee noch sorgsam diverse Gegenstände in Szene, bevor sie sich in der „Führer“-Badewanne von David ablichten lässt. So ganz ohne Kontext zu ihrer Arbeit wirkt dies aber wie ihr trotziger, lediglich auf maximale Aufmerksamkeit bedachter Einfall.

Fazit

In solchen Szenen wird deutlich, wie schwer sich Die Fotografin damit tut, die Vielseitigkeit und Widersprüchlichkeit dieser gegen jegliche Konventionen ihrer Zeit aufbegehrenden Frau sowie die künstlerischen Einflüsse auf ihre kriegsfotografische Arbeit zu erfassen. Und schon schmerzlich bewusst wird man sich dessen, wenn der Film sich den wahrscheinlich entsetzlichsten Momenten ihrer Berichterstattung widmet: Die Leichenberge, die sich Lee und David in den befreiten Konzentrationslagern von Dachau und Buchenwald offenbaren, verschlagen ihnen die Sprache und scheinbar jeglichen Gedanken. Die Fotografin wagt trotz seines Sujets keinerlei Deutung der Auswirkung dieses Anblicks auf die beiden Kriegsberichterstatter. Und dies ergibt zusammen mit der schließlich durch einige Wendungen in der Rahmenhandlung heraufbeschworenen melodramatischen Momente von Die Fotografin ein etwas holzschnittartiges Bild von dem mittlerweile als sehr reflektiert und relevant anerkannten Wirken Lee Millers.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Die Fotografin
Originaltitel: Lee
Großbritannien 2023. 116 Min.
Regie: Ellen Kuras. Drehbuch: Liz Hannah, Marion Hume, John Collee
Basierend auf der Biografie „The Lives of Lee Miller“ (1985) von Antony Penrose
Kamera: Pawel Edelman
Besetzung: Kate Winslet, Alexander Skarsgård, Andy Samberg, Andrea Riseborough, Josh O’Connor, Noémie Merlant u. v. m.
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=o48-hVFjd-E

Der Film läuft seit dem 19. September in den deutschen Kinos.


Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

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