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Social Media Monitoring: Auf Facebook, Instagram, X & Co nach Themen suchen

Wichtige Ereignisse kündigen sich oft zuerst auf den sozialen Plattformen an. Augenzeug:innen posten Videos und Fotos, Insider:innen berichten aus der Politik oder aus Unternehmen – oft Tage vor den offiziellen Kanälen. Journalist:innen können von diesem Frühwarnsystem profitieren, indem sie mithilfe verschiedener Tools Facebook, Instagram & Co systematisch nach Ereignissen, Themen und Personen scannen. Welche Instrumente lohnen sich für freie Journalist:innen, welche sind zu teuer und zu großformatig?  

Als Oskar Vitlif am 16. April 2019 seinen Dienst bei ARD aktuell (unter anderem „tagesschau“) antrat, ahnte er noch nicht, welche besondere Nachrichtenlage auf ihn zukommen würde. Am frühen Abend bemerkten er und seine Kolleg:innen vom Social Media Team, dass in den sozialen Medien immer mehr Beiträge zu einem mutmaßlichen Feuer in der Kathedrale von Notre-Dame de Paris auftauchten. „Bevor die offiziellen Kanäle das Ereignis meldeten, hatten wir es wegen der zahlreichen Videos und Fotos unter dem Hashtag #NotreDame in den sozialen Medien bereits wahrgenommen“, erinnert sich Vitlif an den historischen Abend.

Inzwischen gibt der freie Journalist Vitlif seine Erfahrungen mit der systematischen Beobachtung der sozialen Medien, dem sogenannten Social Media Monitoring, in Workshops und Beratungen an Kolleg:innen und Medienhäuser weiter.

Der freie Journalist Oskar Vitlif aus Hamburg arbeitet vor allem für die ARD. Seine Stammredaktion ist das Social Media Team von ARD-aktuell („tagesschau“). Er unterstützt Redaktionen, Medienakademien und Verbände als Trainer und Berater zu digitaler Transformation. Foto: privat.

Für Journalist:innen ist Social Media Monitoring ein wertvolles Frühwarnsystem und eine reichhaltige Informationsquelle. Bilder, Videos und Textbeiträge auf Facebook, Instagram, X & Co machen auf Geschehnisse aufmerksam, bevor sie in den Redaktionen zu Meldungen verarbeitet und veröffentlicht werden. „Bei wichtigen Nachrichtenlagen kann man so oft zusätzliche und neue Informationen gewinnen – die man dann allerdings zunächst verifizieren muss (Social Media Verifikation). Das sind dann vielleicht Entwicklungen, die andere Berichterstattende noch gar nicht mitbekommen haben“, sagt Vitlif.

Im Gegenzug können Medienschaffende systematisch verfolgen, wie ihre eigenen Beiträge in sozialen Netzwerken genutzt, kommentiert und weiterverbreitet werden. Lokalredaktionen zum Beispiel erfahren beim Social Media Monitoring, welche Themen der lokale Wettbewerb wie erfolgreich bearbeitet hat und wo die eigene Berichterstattung noch Lücken aufweist.

Systematisch durchleuchtet werden können die sozialen Netzwerke mit dem Social Media Monitoring anhand der  fünf klassischen W-Fragen:

  • Was? Ereignisse, Krisen, Themen, Trends.
  • Wer? Wichtige Multiplikator:innen und Influencer:innen, Expert:innen, Politiker:innen etc.
  • Wo? Geografische Orte oder virtuelle Orte, wichtige Medienaccounts, Plattformen, Kanäle.
  • Wann? Beobachtung definierter Zeiträume.
  • Wie: Emotionale Reaktionen auf Posts und Beiträge, Stimmungslagen, die sie auslösen (Sentiment-Analyse).

Auch der freie Journalist, Buchautor, IT- und KI-Berater Marcus Schwarze hat gute Erfahrungen mit Social Media Monitoring gemacht, sowohl als „Chef Digitales“ und Mitglied der Chefredaktion bei der Koblenzer Rhein-Zeitung als auch als Leiter der Online-Redaktion bei der Berliner Morgenpost. Und auch als freier Fachjournalist nutzt er nach wie vor einige der Tools.

Wie betreiben Redaktionen und freie Journalist:innen Social Media Monitoring?

Schwarze erinnert sich, dass über dem Newsdesk der Morgenpost in Berlin zwei große Bildschirme hingen, auf die er als Online-Verantwortlicher und der neben ihm sitzende Chefredakteur immer einen Seitenblick hatten.

Marcus Schwarze ist freier Journalist und Berater für digitale Kommunikation. Er ist Buchautor zu den Themen Internet, KI und Software. Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt er einen Newsletter über KI. Zuvor war er „Chef Digitales“ bei der Koblenzer Rhein-Zeitung, Redaktionsleiter Online bei der ZDF-„heute Show“ und Leiter der Online-Redaktion bei der Berliner Morgenpost. Foto: Sascha Ditscher.

Auf einem der Screens lief die Software TweetDeck. Mit ihrer Hilfe legte sich die Reaktion übersichtliche Spalten mit Listen von Accounts auf X (ehemals Twitter) an. So hatte sie ständig die Posts wichtiger Personen, Institutionen oder Firmen im Blick und konnte auf Neuigkeiten schnell mit eigenen Recherchen reagieren. Zudem beobachtete man so die öffentlichen Reaktionen auf eigene Veröffentlichungen und konnte auf X schnell nachsteuern.

Inzwischen hat Elon Musk TweetDeck in X Pro umbenannt und kostenpflichtig gemacht, doch Schwarze nutzt das Tool auch als freier Journalist noch immer. „Über meine Rheinland-Pfalz-Spalte zum Beispiel behalte ich den Überblick über die Posts rheinland-pfälzischer Politiker, Behörden, der Landesregierung und diverser Kommunen“, berichtet der Koblenzer Schwarze. Für seine regelmäßigen KI-Beiträge für die FAZ verfolgt er mittels X-Pro die Statements US-amerikanischer KI-Spezialist:innen und Techfirmen. „So habe ich beispielsweise früh mitbekommen, dass Meta seine neue KI nicht mehr in Europa veröffentlichen möchte“, sagt der Journalist und Berater.

Insgesamt arbeitet Schwarze mit etwa 30 Listen zu verschiedenen Themen und Protagonist:innen und spart sich so eine kostenpflichtige Agentur, wie etwa dpa.

Eine zweite Social-Media-Monitoring-Lösung, die Schwarze bei der Berliner Morgenpost einsetzte, war ChartBeat. Die Software zeigte der Redaktion, welche Beiträge auf morgenpost.de am häufigsten geklickt wurden. „So haben wir unser journalistisches Bauchgefühl durch Daten unterfüttern können. Wenn zum Beispiel wieder einmal ein Radfahrer von einem abbiegenden Lkw schwer verletzt wurde oder eine Bombe entschärft werden musste, bestätigte ChartBeat immer wieder unsere Annahme, dass solche Nachrichten schnell an die Spitze der meistgeklickten Beiträge springen“, erinnert sich Schwarze.

In anderen Fällen zeigte ChartBeat der Redaktion, dass bestimmte Themen journalistisch nachgeschärft werden mussten, weil sie stark geklickt wurden, bis dahin aber noch nicht im Fokus der Kolleg:innen gestanden hatten. Die Software ist aber eher für Redaktionen geeignet, die regelmäßig ein ganzes Content-Angebot pflegen müssen und weniger für freie Journalist:innen, die lediglich das Feedback auf einzelne ihrer Beiträge verfolgen möchten. Für diesen Zweck ist das Tool womöglich zu mächtig und auch zu teuer. Der Anbieter kommuniziert keine Preisinformationen.

Kostenpflichtige High-End-Lösungen

Journalist und KI-Experte Oskar Vitlif hat Tools für das Social Media Monitoring recherchiert und getestet. Viele von ihnen sind kostenpflichtig und wurden ursprünglich für Media- und Influenceragenturen entwickelt. Diese verfolgen mit der Hilfe dieser Instrumente, wie Kampagnen, die sie bei Influencern gebucht haben, beim Publikum ankommen.

Die Software-Lösungen können aber auch von Journalist:innen genutzt werden. Namentlich nennt Vitlif Spike von NewsWhip, Storyclash, 10000 Flies, Hootsuite und Buzzsumo.

Alle Tools arbeiten grundsätzlich ähnlich. Sie ermöglichen das Monitoring wichtiger Accounts und Links, verfolgen Posts und deren Reichweite und die Resonanz darauf und können Journalist:innen so beim Recherchieren helfen.

„Die Lösungen sind in der Regel kostenpflichtig und meist auch gar nicht günstig. Die Lizenzkosten liegen oft zwischen 500 und 1.000 Euro pro Monat. Medienhäuser können solche Summen stemmen, freie Journalist:innen haben aber oft das Nachsehen“, sagt Vitlif. Oft sind auf den Produkt-Webseiten auch gar keine Preise aufgeführt und man muss mit den Anbieter:innen verhandeln.

Als Tool für die Analyse emotionaler Lagen auf den sozialen Plattformen nennt Marcus Schwarze Talkwalker.  Die Software analysiert Stimmungen durch eine sogenannte Sentiment-Analyse. Wenn die einen Shitstorm ankündigt – etwa, weil ein „Netzpromi“ mit großer Reichweite sich über irgendetwas negativ geäußert hat – ist es für Unternehmen höchste Zeit, gegenzusteuern. Für Journalist:innen ist dies der Startschuss für eine eigene Recherche.

Gibt es Alternativen zu kostenpflichtigen High-End Tools?

Fachjournalist:innen und Freiberufler:innen sollten genau durchrechnen, ob sich die Investition in eine der genannten Software-Lösungen lohnt. Berufsverbände sollten prüfen, ob sie möglicherweise günstigere Enterprise-Lizenzen kaufen und den Verbandsmitgliedern anbieten könnten.

Aber auch das kostenfreie Google Alerts oder das kostenlose Google Trends helfen dabei, spezielle Schlagworte und Themen im Blick zu behalten. Aus technischen Gründen können sie aber nicht alle großen sozialen Netzwerke umfassend durchsuchen. „Die Social-Media-Plattformen halten Google teilweise raus“, bedauert Vitlif.

Auch ChatGPT (es gibt eine kostenfreie und eine kostenpflichtige Variante) fehlen bislang Schnittstellen zu den sozialen Medien, um dort mittels KI recherchieren zu können. „Immerhin kann man mit dem KI-Chatbot Perplexity die Plattform Reddit nach Schlagwörtern durchsuchen. Allerdings ist Reddit eine sehr nischige Plattform und in der Bedeutung nicht mit Facebook, Instagram oder TikTok vergleichbar“, sagt Vitlif.

Wer interessante Themen und Diskussionen mitverfolgen möchte, kann zudem branchenspezifische Newsletter abonnieren oder relevante Publikationen per RSS-Feed lesen. „Vielleicht genügt es mir für meine Zwecke auch schon, einer Reihe wichtiger Stimmen auf LinkedIn zu folgen, um die branchenspezifischen Diskussionen mitzubekommen“, rät Vitlif.

Qualitätssicherung: Filtern Social-Media-Monitoring-Programme Fake News heraus?

Beinhalten Social Media Monitoring Tools irgendeine Art von Qualitätskontrolle? Filtern sie offensichtliche Fake News heraus oder ignorieren sie Diskussionen, die auf Fake News aufbauen?

„Das journalistische Handwerk und das Zwei-Quellen-Prinzip nehmen die Lösungen einem nicht ab, auch weil in den sozialen Netzwerken viele von vielen abschreiben. Die journalistische Plausibilitätsprüfung muss man nach wie vor selbst leisten. Wenn ich heute eine wichtige Meldung auf X lese, dann steht die oft erst zwei, drei Tage später in der Zeitung. In der Zwischenzeit haben die Journalisten – hoffentlich sorgfältig – ihre Arbeit gemacht“, sagt Marcus Schwarze.

Doch Verifikationen können auch direkt an eine Monitoring-Meldung in den sozialen Medien anschließen. Als Beispiel nennt Schwarze eine Diskussion auf X, die um die Schüsse auf Ex-US-Präsident Trump entstanden war und auf die ihn X per Social Media Monitoring aufmerksam gemacht hatte.

Auslöser war ein Foto, das ein Einschussloch an Trumps Teleprompter zeigen sollte. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass Trump von der Kugel direkt am Ohr getroffen worden war. Mit dem Bild steht die Theorie eines Treffers durch einen Splitter im Raum.

X lud Schwarze direkt zur Kommentierung des Sachverhalts ein. Auch andere Menschen beschäftigten sich inzwischen mit dieser Theorie und kommentierten. Die Diskussion lief zunächst noch in einem geschlossenen Kreis.

„Erst wenn ich dort schlaue Beiträge liefere, die von vielen geschätzt werden, steige ich im Ranking wichtiger Kommentatoren langsam nach oben, bin vielleicht sogar weltweit wahrnehmbar. Das ist also eine Art von Crowdsourcing der Verifikation. Da hat Elon Musk etwas entwickelt, was in der Praxis sehr gut funktioniert und zukunftsträchtig ist“, glaubt Journalist und KI-Berater Schwarze.

Er schlägt vor, dass Qualitätsmedien ihren Beiträgen eine Blockchain mit seriösen Kommentaren von Nutzer:innen beistellen und sich so gegenseitig die Richtigkeit ihrer Beiträge bestätigen. Die New York Times hatte ein ähnliches Blockchain-basiertes Projekt bereits gestartet. „Musk macht das jetzt auf seine Art, bei X“, sagt Schwarze.

Fazit

Social Media Monitoring ist eine wertvolle und fruchtbare Recherchemethode – sowohl für die Arbeit in der Redaktion als auch für Freie. Viele Tools auf dem Markt sind aber für freie Journalist:innen zu großformatig und mutmaßlich auch zu kostenintensiv.

Günstigere Möglichkeiten, wie X Pro oder freie Tools wie Google Alerts, Google Analytics, eine systematische Beobachtung via LinkedIn oder das Abonnement von RSS-Feeds genügen möglicherweise bereits. Die handwerkliche journalistische Arbeit kann aber keines der Instrumente übernehmen.

Weiterführende Informationen unter: https://academy.technikum-wien.at/ratgeber/was-ist-social-media-monitoring/

llustration: Esther Schaarhüls.

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)


Foto:  Eberhard Kehrer

Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er Jahre als freier Autor über elektronische Medien, Internet, Multimedia und Kino Anfangs für die taz, dann für den Tagesspiegel und im neuen Millennium vorwiegend für Fachmagazine, wie ZOOM und Film & TV Kamera. Für das verdi-Magazin Menschen Machen Medien verfolgt er die Entwicklung nachhaltiger Filmproduktion, die Diversität in den Medien und neue Medienberufe.

 

 

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